Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
was, o Herr?« antwortete Jinvan demütig.
    »Für das, was meine Soldaten Ihnen angetan haben. Ich wollte das nicht, ich habe es nicht befohlen. Aber wenn sie schöne Frauen sehen, fällt der Mensch von ihnen ab, und sie werden zu wilden Tieren. Ein Tiger sieht seine Beute nicht bloß an, er zerreißt sie. Sehen Sie es so, Frau Huang: Sie sind in ein Rudel von Tigern geraten.«
    »Ein Tiger ist ein Einzelgänger, er lebt nicht in Rudeln wie etwa der Löwe«, sagte Huang höflich.
    »Der Lehrer!« Chang lachte, anstatt über diese Belehrung in neue Wut zu geraten. »Und was ist eine Hyäne?«
    »Eine Rudelläuferin.«
    »Dann ist Jinvan eben in ein Rudel von Hyänen geraten.« Chang lachte wieder und klopfte sich auf die dicken Schenkel. »Eine Revolution braucht Opfer – wozu ist sie sonst da? Erst die Opfer geben einer Revolution den geschichtlichen Namen und ihre Anerkennung. Spräche man noch von der Französischen Revolution, wenn nicht Tausende von Köpfen gerollt wären, wenn das Volk nur unter wehenden Fahnen und jubelnd herummarschiert wäre?«
    »Und wie viele Tote hat unsere Kulturrevolution bisher gekostet?« fragte Huang. »Weiß man das, Genosse Kommissar?«
    »Nicht genau. Die ›Säuberung der Klassenreihen‹, wie Lin Biao es nannte, war sehr streng. Deng Xiaoping sagte einmal: ›Diese Zeit forderte einhundert Millionen Opfer.‹ Da war ich erstaunt. Bei über einer Milliarde Chinesen nur einhundert Millionen Tote – Lehrer Huang, geben Sie zu: Wir waren human!« Changs Gesicht verzog sich zu einem perfiden Lächeln. »Daß sie fehlten, fiel gar nicht auf, wie auch keiner davon reden würde, wenn wir Ihr Dorf auslöschen.«
    »Was für einen Nutzen würde das der Kulturrevolution bringen?«
    »Gar keinen. ›Bereinigung‹ würden wir es in einem Bericht nennen, und damit wäre auch alles erledigt und vergessen.« Chang streckte sich auf dem Bett aus, verschränkte die Arme hinter dem Nacken und blickte zu der kleinen Lida hinüber, die neben ihrer Mutter am Feuer saß. Der Geruch von gebratenem Hühnerfleisch zog durch den Raum. »Ich hätte es getan, Huang Keli, wenn deine Tochter mich nicht an meine eigene Tochter erinnert hätte.«
    »Sie haben eine Tochter, Genosse Kommissar?«
    »Ich hatte eine. Sie ist tot!« sagte Chang abgehackt. »1966 begann die Große Proletarische Kulturrevolution. Im Jahre 1969 – ich war damals ein kleiner Bezirkssekretär der Partei – brachte man meine Tochter auf einem Pritschenwagen nach Hause: Sie war vergewaltigt und dann mit sieben Messerstichen getötet worden. Niemand weiß bis heute, wie es geschehen ist, wer es war, wo man es getan hat. Man fand sie neben einem Haufen frisch gebrannter Lehmziegel hinter einem Brennofen.« Er sah Huang lange stumm an, dann sagte er leise: »Seitdem hatte ich kein Herz und keine Seele mehr. Aber die Augen deiner Tochter haben mir einen kleinen Teil davon wiedergegeben. Nur deshalb lebt ihr noch.«
    Huang schwieg. Er sah es nicht als notwendig an, weiter darüber zu sprechen – es hätte nichts geändert und Changs gestorbene Seele nicht mehr zum Leben erweckt. Sie aßen das gebratene Huhn und wilden Reis und tranken drei Flaschen Maisbier; auch Kohl gab es und Wasserspinat zusammen mit Tofu, dem Sojakäse, alles gesotten in einem eisernen Feuertopf. Chang fühlte sich rundum wohl, spuckte freudig die Hühnerknochen durch das Zimmer, womit er sagen wollte, wie gut ihm Jinvans Abendessen schmeckte, und dann lag er wieder auf Huangs Bett, rieb seinen aufgetriebenen Bauch und wurde müde.
    Bald darauf war er eingeschlafen, und Huang sagte leise zu seiner Frau: »Eine Stunde kann er noch schlafen, und wenn er im tiefsten Schlaf ist, töte ich ihn. Ich werde ihm die Kehle durchschneiden. Hast du ein scharfes Messer?«
    »Das Messer zum Kohlhacken, Keli. Ich habe es gestern noch an den Steinen gewetzt. Es schneidet Papier, als sei es Luft.«
    »Warten wir also!«
    »Kannst du überhaupt einen Menschen töten, Vater?« fragte aus seiner dunklen Ecke Tifei, der geschundene Sohn.
    »Ich habe es noch nie versucht. Es ist das erste Mal. Aber ich werde es können.«
    »Laß mich es machen, Vater«, sagte Tifei. »Ich bin jung, und ich kann es schneller vergessen als du. Und wo willst du mit dem Toten hin?«
    »In den alten Brunnen. Ich werde ihn in den alten Brunnen werfen. Er ist tief genug, daß man Chang nicht finden wird.« Huang schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, mein Sohn, ich tue es. Sie haben meine Frau
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher