Der Jade-Pavillon
Vier Rotgardisten folgten ihm, und wenn er auf einen Verwundeten zeigte, dem nicht mehr zu helfen war, packten zwei der Soldaten zu, hoben den Schreienden hoch und trugen ihn zu der Lehmgrube, wo sie ihn auf die Leichenberge warfen. Ein Bagger schaufelte die herangeschafften Toten über die Lebenden, dann wurden Benzinfässer ausgeladen und Benzin über die Leiber ausgeschüttet. Ein junger Leutnant steckte ein zerrissenes blutbeflecktes Hemd an und warf es in die Grube. Sofort schoß eine Stichflamme empor, und in wenigen Minuten war die Lehmgrube ein einziges, großes Feuerloch, aus dem ein widerlicher Geruch von verbranntem Fleisch bis in die Stadt hineinzog.
Tong hatte keine Zeit, das Gefühl von Entsetzen in sich aufkommen zu lassen; er mußte sich um die Verwundeten kümmern, die eine Chance hatten zu überleben. Meistens waren es leichtere Verletzungen, Fleischwunden, Durchschüsse oder auch ein zersplitterter Knochen, Fälle, die er leicht in einer Klinik behandeln konnte, wenn die Lastwagen, die vorhin die Toten gebracht hatten, nun die Verwundeten in das Krankenhaus schafften.
Obgleich er von jungen Rotgardisten argwöhnisch bewacht wurde, verließ Tong den Platz, ging zu der zusammengedrängten Masse der Gefangenen zurück, sah, daß sein Sohn Jian noch unter ihnen stand und lebte, und nickte ihm zu. Er ging weiter auf den General zu, der nun auf einem Stuhl saß und von allen Seiten immer noch Meldungen erhielt.
Der General sah Tong mit bösen, harten Augen an. Tongs Anzug war voller Blutflecken, seine Hände rot vom Blut der Verwundeten, die er nur flüchtig hatte untersuchen können.
»Was willst du? Wer bist du?« fragte der General. Er hatte eine kalte, befehlsgewohnte Stimme, die einem einfachen Menschen einen Schauer über den Rücken jagen konnte. Auf Tong machte sie nach all dem, was er gesehen hatte, keinen Eindruck mehr.
»Ich brauche Lastwagen«, sagte er ohne ein Zeichen der Unterwerfung.
»Was willst du?«
»Lastwagen, um die Verwundeten ins Krankenhaus zu bringen.«
»Er hat den Verstand verloren.« Der General wandte sich um. Hinter ihm stand Major Feng Tiyun und wartete auf das Kommando, die reaktionären Klassenfeinde, die man hier zusammengetrieben hatte, in Gruppen von je zehn Mann zur Seite zu führen und hinzurichten.
»Ich bin Arzt«, sagte Tong voll Mut. »Ich habe die Pflicht, den Verwundeten zu helfen. Aber niemand – auch Mao nicht – kann mit den bloßen Händen Wunden schließen.«
Major Feng zuckte bei diesem Satz sichtbar zusammen. Er holte seine Pistole aus dem Gürtel, bereit, diesen verrückten Arzt, den er selbst aus dem Haus geholt hatte, zu erschießen. Nur ein leichtes Nicken des Generals würde genügen.
Aber Tong sprach mit ruhiger Stimme weiter: »Unter den Verletzten sind auch viele Rotgardisten. Sie sterben, Genosse General, wenn Ihnen nicht geholfen wird. Sie sterben, obwohl wir Ärzte sie retten könnten. Wir brauchen nur ein paar Wagen für den Transport zum Krankenhaus.«
Der General nickte, aber nicht als Zeichen für Feng, die Pistole zu heben, sondern um zu zeigen, daß er Tongs Anliegen verstanden hatte. »Du wirst deine Wagen bekommen«, sagte er, »aber nur Rotgardisten werden weggebracht, die anderen sollen sich gegenseitig helfen.«
Und Tong bekam vier Lastwagen und sechs Soldaten, die es sich einfach machten, die Verwundeten wie Stücke Holz auf die Ladefläche warfen, kreuz und quer übereinander, und Tong nahm alle Verletzten mit, nicht nur die Soldaten, denn der Offizier, der die Kolonne befehligte, hatte nichts vom Befehl des Generals gehört.
Im Krankenhaus arbeitete Tong zusammen mit zehn anderen Ärzten die ganze Nacht hindurch an den Operationstischen. Wenn ein Verwundeter versorgt war – neun starben noch unter ihren Händen –, hielt Tong eine Minute Ruhe und dachte an seinen Sohn Jian. Hatte man ihn schon hingerichtet, und lag er schon in einer zweiten Grube, übergossen mit Benzin? Wie konnte man Meizhu und Fengxia davor warnen, in den nächsten Tagen nach Kunming zurückzukehren, oder waren die wilden ›Kleinen Generäle Maos‹ auch nach Chengdu gekommen und richteten dort ein Blutbad an?
So stand Tong am Operationstisch und starrte ins Weite, bis der nächste Verwundete vor ihn hingelegt wurde und ein Krankenpfleger sagte: »Schuß linke Schulter. Steckschuß.« Es war Fließbandarbeit, Körper nach Körper; man hatte keine Zeit, zu desinfizieren, die Instrumente zu wechseln, von denen man sowieso zu wenig hatte, und
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