Der Jade-Pavillon
daß nicht Flußkrebse oder süßsaure Schweinefilets auf dem Tisch standen. »Aber Jinvan weiß, wie man die einfachen Speisen würzt, damit die Zunge sich erfreut.«
»Sagen Sie bitte nicht Herr Tong zu mir, sondern Jian«, forderte Jian Huang auf. Er sah sich um. Ein großer Raum, sauber und aufgeräumt, an der Wand zwei bunte Drucke, die aus einer Illustrierten stammen konnten und die eine Landschaft darstellten: die wundersamen Berge von Zhangjiajie, von denen selbst Malkünstler schwärmen, sie seien schöner als die berühmten Berge von Guilin. Außerdem hing ein Foto an der Wand, das Porträt von Deng Xiaoping, der China in eine neue Zeit führen wollte.
Jian trat vor die Fotografie und fragte: »Sie verehren Deng, Herr Huang? Sie mögen ihn?«
»Ich verehre jeden, der nützliche Ideen hat.« Huang sah zu seiner Frau Jinvan hinüber, die die Ente in der Pfanne wendete. »Wo ist Lida?«
»Im Stall, im Garten, bei ihrem Büffel – ich weiß es nicht. Sie hatte es eilig, aus dem Haus zu kommen.«
»Sie ißt nicht mit uns?«
»Ich werde sie rufen; aber ob sie kommt, kann ich nicht sagen.«
»Sie wird kommen!« sagte Huang mit plötzlich veränderter, harter Stimme. »Ich habe sie Höflichkeit und Anstand gelehrt. Jian, verzeihen Sie, daß meine Tochter sich so benimmt.«
Sie setzten sich an den Tisch. Chang lächelte vor sich hin, denn anders als Huang sah er Lidas Abwesenheit und ahnte, daß in ihrem Herzen eine Rose erblühte. Das war ein Gefühl, das sie nicht kannte, und nun flüchtete sie vor ihm.
Jinvan hatte die gebratene Ente in eine Tonschüssel gelegt, griff nach einer modernen Aluminiumpfanne, die Lida einmal von irgendeinem Markt mitgebracht hatte, nahm ein Holzscheit und schlug mehrmals gegen den Boden der Pfanne, so wie man in vornehmen Häusern einen großen Gong schlägt, der die Familie zusammenruft.
Die Hintertür öffnete sich, und Lida kam ins Haus. Huang dachte voll Stolz: Ich habe doch eine wohlerzogene Tochter, ich brauche mich vor dem Besuch nicht zu schämen. Aber dann fiel ihm auf, daß sie sich umgezogen hatte. Sie trug ein schlichtes Baumwollkleid von himmelblauer Farbe, das ihren Körper eng umgab.
Jians Herz wurde schwer, und während Lida die Schüsseln auftrug, drei Flaschen Bier öffnete und die Gläser mit dem stark nach Hopfen riechenden Getränk füllte, vermied sie es, Jian anzusehen, und nahm dann neben ihrer Mutter Platz, weit genug von ihm weg.
Das Abendessen war köstlich. Jinvan verstand wirklich sehr viel vom Würzen, und Jian sagte anerkennend: »Es schmeckt besser als in manchen großen Restaurants von Kunming.«
»Ich habe noch nie in einem Restaurant von Kunming gegessen«, entgegnete Huang. »Aber am Ofen ist Jinvan eine Zauberin; sie könnte aus einem Kohlstrunk ein Lotusherz machen.«
Es war schon dunkel, als sie endlich mit Essen fertig waren und ihren grünen Tee aus den hohen Deckeltassen tranken. Über ihnen brannte unter einem Schirm aus geflochtenem Bambus eine trübe Glühbirne, die nicht ausreichte, den ganzen Raum auszuleuchten. Neben dem Herd spülte Lida in einem Bottich mit heißem Wasser die Eßschalen aus und schrubbte mit einer harten Bürste die Holzstäbchen, die der Großvater noch selbst geschnitzt hatte. Nur an besonderen Tagen wurden diese Eßstäbchen benutzt, und heute war so ein Tag, denn wann saß schon ein Herr aus bestem Hause am Tisch eines armen Lehrers der Miao-Minderheit?
Jian warf einen Blick zu der Glühbirne hinauf und sagte: »Das Licht reicht nicht für eine gründliche Untersuchung. Ich werde nach Hause fahren und morgen wiederkommen. Ist es Ihnen recht, Herr Huang?«
»Wie weit müssen Sie fahren, Jian?« fragte Huang.
»Bis Dali. Keine große Strecke.«
»Aber es ist Nacht.« Es war Jinvan, die es sagte.
»Ich habe gute Scheinwerfer, Frau Huang.«
»In der Nacht lauern überall Gefahren. Man erzählt sich, daß Räuber in einer Nacht sieben Lastwagen überfallen und ausgeraubt haben.«
»Das ist wahr!« fiel Chang ein. »Die Polizei lag drei Wochen auf der Lauer, aber jemand muß die Bande gewarnt haben. Wenn du nun allein durch die Nacht fährst, könnte es sein …« Er machte eine Bewegung mit der Handkante, die andeutete, man könnte ihm den Hals durchschneiden. »Auch der Mutigste ist wehrlos, wenn ihn der Gegner von hinten trifft.«
»Ich biete Ihnen mein armseliges Haus für diese Nacht an«, sagte Huang höflich. »Aber es ist sauber. Sie infizieren sich nicht. Es gibt bei uns keine Ratten,
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