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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stockte, und dann sprach er aus, was er schon längst seinem Vater hatte sagen wollen: »Auch ich will mich auf Chirurgie spezialisieren.«
    »Du hast kein Vertrauen mehr zu unserer Medizin?«
    »Doch, Vater. Aber am geöffneten Körper stehe ich in vorderster Front und sehe den Feind. Bisher konnten wir nur ahnen, wo er ist, und suchten ihn.«
    Tong schwieg und wechselte dann das Thema. Nur kurz dachte er an das Massaker der Rotgardisten in Kunming und an die langen Reihen der Verwundeten, durch die er gegangen war, wie er die Sterbenden und Hoffnungslosen aussortierte und dann mit blutigen Händen am Operationstisch stand und zerfetzte Leiber zusammenflickte – er, der Internist, und es war ihm gelungen, damit Menschenleben zu retten, auch wenn ihnen dann ein Bein oder ein Arm fehlte. Die vorderste Front der Medizin! Aber er, der große Tong Shijun, war eigentlich ein Kräuterdoktor geblieben. Noch als die ersten Infusionsflaschen in China eingeführt wurden, hatte Tong gezögert, die Hohlnadel in die Vene seiner Patienten zu stechen, denn es war ja nach traditioneller Ansicht eine Versehrung des Körpers. Aber dann ließ er doch seine Kranken am Tropf hängen, sich immer wieder damit beruhigend, daß auch das Akupunktieren ein Stechen mit Nadeln war.
    »Wie hast du die Tage bei Onkel Zhang verbracht?« fragte Tong seinen Sohn.
    »Ich habe viel gerudert, habe geschwommen und sogar den Fischern beim Einholen der Netze geholfen.«
    »Du siehst gut aus, Jian.«
    »Es waren schöne Tage, Vater.« Jian dachte an Onkel Zhangs Warnung, und wie er so seinen Vater vor sich sitzen sah, einen Menschen aus einer längst vergangenen Zeit, kam es ihm gar nicht als Lüge vor, nichts von Lida und dem Miao-Dorf Huili zu erzählen, von dem Lehrer Huang, seiner Frau Jinvan, dem lungenkranken Chang und dem Büffel, der den Holzpflug gezogen hatte. »Ich könnte in Dali leben.«
    »Dali wäre zu klein für dich, Jian. Du wirst in Beijing oder Shanghai oder in Guangzhou leben als ein großer, geachteter Arzt. Ich möchte das noch erleben, mein Sohn.«
    Das war ein Augenblick, da Jian schwankte, ob er nicht doch von der Familie Huang erzählen sollte, von Lida, die Felder umpflügte und doch so zarte Hände hatte, von ihrer Schönheit und Tugendhaftigkeit und von der großen Liebe, von der sie nie miteinander gesprochen hatten. Aber dann verjagte ein Satz seinen Wunsch, offen zu sein.
    Tong sagte: »Ich habe mit Qian Fang gesprochen. Auch er ist einverstanden, daß du einmal seine Tochter Yanmei heiratest.«
    »Und wer ist sonst noch damit einverstanden?«
    »Ich. Wenn die Väter sich einig sind – «
    »Das war vor tausend Jahren! Ich heirate, und ich heirate eine Frau, die ich liebe …«
    »Yanmei ist eine Schönheit. Sie ist klug, wohlerzogen, aus bestem Hause.«
    »Aber was kann sie? Tennisspielen! Kann sie kochen, ein Huhn ausnehmen, ein Schwein schlachten, einen Wasserbüffel vor den Pflug spannen?«
    Tong sah seinen Sohn an, als habe dieser seine eigene Mutter geschlagen. »Was redest du für einen Unsinn! Sie wird die Frau eines großen Arztes sein – was hat sie mit niedrigen Arbeiten zu tun? Eine schöne Stimme hat sie und kennt viele Lieder.«
    »Soll sie mir jeden Abend vorsingen? Meine Frau suche ich mir allein aus, Vater.«
    »Es ist Tradition im Hause Tong …«
    »Ich lebe im zwanzigsten Jahrhundert und nicht zur Ming-Zeit. Ich brauche keine Tradition.«
    »Auch deine Mutter wurde mit mir schon als Kind verlobt. Sind wir deshalb unglücklich?« Tong saß so gerade in seinem Sessel, als stecke ein Stock hinten in seinem Rock. »Hast du gesagt: ›Ich brauche keine Tradition‹?«
    »Ich habe es gesagt.«
    »Wie kann man leben ohne Tradition?«
    »Ich werde es dir vorleben, Vater.«
    »Und ich werde mich schämen müssen. Willst du einen Vater ohne Gesicht, du, ein Tong? Ich habe Qian Fang versprochen, daß du Yanmei heiratest.«
    »Dann geh zu ihm und sage ihm in aller Ehrlichkeit: ›Jian, mein Sohn, will Yanmei nicht heiraten.‹«
    »Von da an werden die Familien Tong und Qian auf ewig Feinde sein.«
    »Das wird mein Leben nicht verändern oder beeinflussen. Ich werde mehr als nur einen Feind haben.«
    »Wenn du sie dir selbst schaffst.« Tong erhob sich und sah auf Jian hinab, als läge dieser in einem demütigen Kotau vor ihm. »Ich gehe nicht zu Qian und beleidige ihn bis auf den Tod.«
    »Dann gehe ich.« Jian sprang ebenfalls auf und riß sich den seidenen Mantel vom Körper. Wie einen alten, dreckigen Fetzen

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