Der Jade-Pavillon
werde warten, bis Jian wiederkommt, und du wirst mir die Kraft geben, diese Zeit des Wartens zu ertragen. Zeige mir, welch ein Zauber in dir lebt.«
Sie blieb eine ganze Weile vor dem Jade-Pavillon hocken und schlich dann zum Bett zurück, wo das Mondlicht Jians nackten Körper beschien. Sie legte sich wieder zu ihm. Im Schlaf tastete seine Hand nach ihrer Brust, umfaßte sie und blieb dort liegen, als gäbe sie ihm Halt.
Sie lag noch lange wach, genoß den Druck seiner Hand auf ihrer Brust und hatte Mühe, Sehnsucht und Verlangen, die in ihr aufstiegen, zu unterdrücken. Still, in einer erzwungenen Steifheit, lag sie neben ihm und atmete den Geruch seines Schweißes ein, der wie ein betäubender Duft war. Sie hatte den Kopf zur Seite gewandt und blickte zu der Kiste hinüber, zu dem Jade-Pavillon, der im Mondschein leuchtete, als sei er etwas Überirdisches. Er lebt, dachte sie. Er lebt wirklich, und solange er lebt, werde auch ich leben.
Und eine tiefe, starke Ruhe kam über sie.
V: Der Kampf der Väter
Als er nach Kunming zurückkehrte, war Jian darauf vorbereitet, daß ihm kein herzlicher Empfang zuteil werden würde; er rechnete vielmehr mit Fragen über Fragen. Zhang hatte ihm beim Abschied wieder den Rat gegeben, Stillschweigen über seine Liebe zu Lida zu bewahren und alles zu leugnen, wenn Tong Shijun einen Verdacht äußerte. Aber woher sollte Tong wissen, was geschehen war? Nur Zhang kannte das Geheimnis, und er hatte bestimmt nichts verraten.
Nach vierhundert Kilometern Fahrt und einem Zwischenhalt in Nanhua, wo er an einer Garküche auf der Straße eine Gemüsesuppe und eine Schale Reis aß, war auch Jian froh, wieder zu Hause zu sein. Er freute sich bei dem Gedanken, sich auf seinem Bett ausstrecken und an Lida denken zu können.
Tong Shijun war noch im Krankenhaus, wo er Reihenuntersuchungen durchführte, denn es mehrten sich die Fälle einer Darmerkrankung, die zwar nicht lebensgefährlich war, aber den Arbeitsprozeß hemmte, denn in den industriellen und landwirtschaftlichen Einheiten hinterließen die Kranken eine spürbare Lücke. Die traditionelle Naturmedizin zeigte nur im Anfangsstadium der Krankheit Erfolge; war sie voll ausgebrochen, versagten alle Kräuter und Wurzeln. Westliche Antibiotika waren schnell aufgebraucht, der Nachschub aus Hongkong oder Shanghai stockte, und um die Krankheit frühzeitig erkennen und traditionell behandeln zu können, rückten die Arbeiter kolonnenweise im Krankenhaus an und warteten in langen Schlangen auf die Untersuchung.
Kaum hatte Jian das Haus betreten, lief ihm seine Mutter entgegen. Sie war sehr aufgeregt, sehr blaß, und es sah aus, als habe sie geweint, denn ihre Augen waren leicht gerötet. »Jian, was hast du getan?« rief sie. »Wo warst du? Wo kommst du her? Drei Tage lang wußte keiner, wo du bist.«
»Jetzt bin ich wieder da.« Jian ließ sich auf das Sofa fallen und streckte die Beine von sich. »Du siehst, es geht mir gut.«
»Was willst du deinem Vater erzählen?«
»Nichts.«
»Er wird sich kaum damit zufrieden geben. Jian, ihr werdet aufeinander losgehen wie zwei feindliche Tiger.«
»Daran habe ich mich gewöhnt, Mutter.« Jian zog seine Jacke aus, warf sie auf den Teppich und hob die Beine auf das Sofa, ohne die Schuhe abzustreifen. »Du und Vater sollten sich endlich damit abfinden, daß ich dreiundzwanzig Jahre alt bin und Student der Medizin. Ich bin nicht mehr der kleine Junge, der im Garten mit Schildkröten und weißen Kaninchen spielt.«
»Spielst du jetzt mit Mädchen?« fragte Meizhu.
Jian sah sie aufmerksam an. Sie weiß es nicht, dachte er schnell. Sie kann es nicht wissen, sie rät nur, sie spielt mit Vermutungen, sie versucht, mich zu überrumpeln. Wenn ich jetzt schweige, verrate ich Lida und mich selbst. »Was hat dich zu dieser absurden Frage geführt?« erwiderte er und versuchte ein Lachen.
»Du hast dich verändert, Jian. Eine Mutter sieht das eher als ein Vater. Dein Leben hat eine andere Richtung eingeschlagen. Wohin gehst du, Jian?«
»Zur Universität, um Arzt zu werden.«
»Das ist die eine Straße. Und die andere?«
»Man kann nur auf einer Straße gehen, nicht auf zweien.«
»Gibt es ein Mädchen?« fragte Meizhu direkt.
»Wo soll es leben?«
»Vielleicht in Dali?«
»Warum gerade in Dali? Es kann auch in Anshun leben oder in Gejiu oder in Yibin, auch Zigong oder Luzhou wären möglich oder Guiyang und Zunyi, und vergiß nicht Kunming selbst. Gerade in Kunming leben viele hübsche Mädchen.
Weitere Kostenlose Bücher