Der Jäger
drängten viele Menschen, Straßenmusiker spielten südamerikanische Folklore, ein paar Bettler saßen unter Schaufenstern, der Geruch veränderte sich von Meter zu Meter, hier roch es nach Crêpes, dort nach Bratwurst, woanders nach Fisch. Obwohl sie gerade eben erst gefrühstückt hatte, hatte sie Appetit auf eine Currywurst mit Pommes frites, etwas, das sie seit Ewigkeiten nicht gegessen hatte.
Sie lief die Zeil hinunter bis zur Konstablerwache und wieder zurück, blieb vor dem Kaufhaus Hertie stehen, überlegte, ob sie hineingehen sollte, ließ es dann aber doch sein, denn die vielen Menschen, die durch die engen Gänge drängten, hätten vielleicht eine Panikattacke ausgelöst, auch wenn sie gerne ihre Grenzen ausgelotet hätte. Stattdessen beobachtete sie die an ihr vorübereilenden Passanten, viele von ihnen auf dem Heimweg von der Arbeit, sah, soweit dies möglich war, in ihre Gesichter.
Ihr erster Weg führte sie in die Buchhandlung, wo sie eine halbe Stunde blieb, in den Regalen stöberte, bis sie sich für einen dicken Wälzer über das alte Ägypten, einen historischen Unterhaltungsroman und ein Büchlein über ihr Sternzeichen entschied, obwohl ihr Vater bereits vor zwei Jahren ein Horoskop für sie erstellen ließ und es ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie liebte Bücher, sie waren, seit sie fließend lesen konnte, ständige Begleiter und eine Zuflucht gewesen, wenn sie traurig oder voller Angst war. Sie zog sich dann in ihr Zimmer zurück, legte sichaufs Bett und las, weil das Abtauchen in eine andere Welt die einzige Möglichkeit war, der Angst und der Unsicherheit Einhalt zu gebieten.
Sie ging weiter, gelangte in die Goethestraße, betrat mehrere Boutiquen, fand nach langem Suchen schließlich das Gewünschte und bezahlte mit Kreditkarte.
Obgleich die Tüten von Meter zu Meter schwerer wurden, fühlte sie sich unbeschwert und leicht, eine Leichtigkeit, die von innen kam.
Es war bereits nach halb sechs, als sie am Parkhaus anlangte, am Automaten bezahlte und nach oben zu ihrem Wagen ging. Sie schloss den Kofferraum auf, verstaute die Tüten darin, machte die Klappe wieder zu, wollte gerade die Fahrertür aufschließen, als sie innehielt, die Stirn in Falten zog und ratlos den Kopf schüttelte. Sie ging um den Wagen herum und war schon im Begriff, sich nach unten zu begeben, um Bescheid zu sagen, dass irgendjemand aus ihren beiden Vorderreifen die Luft herausgelassen hatte, als ein dunkelblauer Mercedes SLK neben ihr hielt. Das Beifahrerfenster wurde heruntergelassen.
»Hallo, Maria. Das ist aber ein Zufall. Was machst du denn hier?«
»Hallo«, erwiderte Maria van Dyck mit einem gequälten Gesicht. »Irgend so ein Idiot hat entweder die Luft aus meinen Reifen gelassen oder sie sogar zerstochen. Und ich hab den ganzen Kofferraum voll mit Tüten. Ein ganz schöner Mist. Und ich hab mich für heute Abend noch mit einer Freundin verabredet.«
»Komm, ich nehm dich mit. Wir haben doch fast den gleichen Weg.«
»Und was ist mit meinem Auto?«, fragte Maria van Dyck.
»Darum sollte sich besser dein Vater kümmern. Für solche Schäden haften die hier. Dafür braucht man aber einen Rechtsanwalt, ich kenn mich da aus. Mir ist so was Ähnliches auch schon mal passiert, irgendwer hat mir in alle vier Reifen einen Nagel gestochen.Was soll ich groß erzählen, es war jedenfalls ein ewiges Hickhack, bis die gezahlt haben … Was ist nun, soll ich dich mitnehmen?«
Maria van Dyck zuckte die Schultern, holte die Tüten aus dem Kofferraum und stellte sie in den Mercedes. Nachdem sie sich gesetzt hatte, sagte sie: »Danke. Ich glaube, Sie hat mir der Himmel geschickt. Jetzt war ich heute zum ersten Mal seit langem wieder in Frankfurt, und dann das. In Zukunft parke ich wohl besser auf der Straße.«
»Maria, wir kennen uns schon so lange, du brauchst mich nicht zu siezen, okay? Und jetzt fahren wir.«
Sie fuhren durch den Theatertunnel über die Gutleutstraße bis zum Baseler Platz, wo sich vor der Ampel eine lange Schlange gebildet hatte, weil viele Autofahrer, die von der Friedensbrücke kamen, auf der Kreuzung standen und den Verkehr blockierten.
»Das sind vielleicht Idioten! Warum können die nicht die Kreuzung freihalten? Oh, da fällt mir ein, ich habe was vergessen. Ich müsste noch mal schnell in mein Haus in Sindlingen. Macht es dir was aus, oder soll ich dich erst heimfahren? Wann hast du denn deine Verabredung?«
»Es ist nur eine Freundin, die mich besuchen kommt. Sie wollte so gegen
Weitere Kostenlose Bücher