Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
will auch ehrlich sein und dir sagen, daß ich deine Bitte, noch einmal das Archiv aufzusuchen, auch dann nicht abgeschlagen hätte, wenn du mir nichts über Bruder Pio angeboten hättest.«
»Ich dachte, du wärest auf ewig beleidigt.«
»Wegen deiner Worte heute nachmittag? Aber Philipp, ich konnte doch den Schmerz sehen, den du nach dem Tod von Bruder Thomas fühltest. Da habe ich deine Worte nicht auf die Goldwaage gelegt. Ich war zwar zornig, aber mein Zorn verrauchte schneller, als du brauchtest, um nach draußen zu schlüpfen.«
»Du überraschst mich«, sagte Philipp offen und hielt ihm die Hand hin. »Es tut mir leid, daß ich schlecht von dir gedacht habe.«
Johannes ergriff seine Hand und schüttelte sie. »Ich habe immer bedauert, daß wir einander nicht näherkamen damals«, sagte er. »Ich wäre gern dein Freund gewesen.«
Ich habe die Probe nicht bestanden , dachte Philipp und biß die Zähne zusammen. Er hätte es gerne laut ausgesprochen, aber das damalige Erlebnis schien ihm noch immer zu intim, um darüber zu reden.Das Archiv war leer, als Johannes die Tür aufschloß und Philipp hineinführte. Er gab sich keine besondere Mühe, leise zu sein oder sich gar nur mit verstohlenen Bewegungen in das Archiv zu schleichen. Der Platz vor der Tür war nicht besetzt; aber es war zu bezweifeln, ob Johannes sich hätte aufhalten lassen, wenn der Helfer des Archivars oder jemand anderer auf seinem Posten gewesen wäre. Johannes entzündete ein Talglicht und spähte in dem großen Raum herum. Der geduckte Schatten am anderen Ende, den der Haufen neu gefundener Unterlagen gebildet hatte, war verschwunden.
»Bruder Severin hat sie einsortiert«, erwiderte Johannes. »Soviel zumindest weiß ich. Ich habe vor dem Mittagläuten noch ein paarmal etwas hier nachgesehen, und er hat mich ohne Widerstand zu den jeweiligen Regalen geführt. Er ist stolz wie ein Pfau darauf, daß Pio sie gefunden hat.« »Zeig mir, wohin er sie sortiert hat. Genau diese Unterlagen sind es, die ich nachsehen möchte.« »Was willst du denn damit?«
»Nur etwas nachprüfen«, erwiderte Philipp und dachte an die beiden Pergamente in seiner Tasche, Radolfs Abriß und die Urkunde, die er Severin gestohlen hatte.
»Etwas nachprüfen?«
»Ich werde es dir gleich erklären.«
Johannes führte ihn zu den Regalen und erklärte ihm, wohin Severin die Dokumente gelegt hatte. Philipp, auf der Suche nach dem gebundenen Stapel, aus dem er das Blatt entwendet hatte, fand ihn erst im letzten der bezeichneten Fächer. Er war nicht sehr darüber erstaunt.
Als Johannes ihm das Talglicht reichte, fiel das trübe Licht auf die anderen Fächer des Regals. Trotz aller Düsterkeit war zu erkennen, daß einige der Fachböden geräumtwaren. Er kniete sich nieder, um die Bretter genauer in Augenschein zu nehmen. Sie waren leidlich sauber, ein Beweis, daß sie noch nicht lange leer waren. Hier hatten sich die Unterlagen über die Teilnehmer am Pilgerzug befunden. Philipp legte die Hände in den Schoß und suchte das Regal mit den Augen ab, ob Severin sie umgeschichtet hatte, aber die Erkenntnis war unvermeidlich – die Dokumente waren verschwunden. Er sah zu Johannes auf.
»Was willst du mir nun zeigen?« fragte der Kämmerer. »Die leeren Fächer?«
»Aude hat zufällig ein Gespräch zwischen zwei Brüdern mitangehört. Sie unterhielten sich darüber, daß der eine, sobald er Severin abgelöst habe, Dokumente zusammenbündeln würde, damit Pio sie aus dem Kloster schaffen könne. Ich dachte, es handelte sich um die neu gefundenen Unterlagen. Aber wie es scheint, ging es ihm gar nicht darum. Er hat andere Dokumente beiseite geschafft, zum Beispiel hier die Unterlagen über die Pilgerfahrer.«
Johannes griff sich das Talglicht und lief mit hastigen Schritten durch das Archiv. Schon nach kurzer Zeit drang seine aufgebrachte Stimme zu Philipp: »Hier fehlen etliche Regalfächer voll. Was hat er nur damit vor?«
Philipp richtete sich auf und säuberte seine Knie. »Ich kann es mir nicht im Traum vorstellen. Vielleicht müssen sie kopiert werden, weil sie beschädigt sind.« »Wenn sie kopiert würden, dann nur hier. Bessere Kopisten finden sich so leicht nirgends. Das weißt du besser als ich.«
»Wenn du es herausfinden willst, mußt du den Abtransport verhindern.«
»Bevor ich zu dir nach draußen kam, habe ich ein paar Wagen aus dem Osttor abfahren lassen, auf denen sich Lebensmittel für die verstreuten Klausen und ein paar Schmuckarbeiten aus der
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