Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Korinther 13,8

Totengedenken
    S ie erreichten das Dorf beim Nachlassen der Mittagshitze, nachdem sie ein zweitesmal vor dem Morgengrauen aufgebrochen und scharf geritten waren. Zwischen Aude und Philipp herrschte eine seltsame Beklommenheit, die eher den unterdrückten Wunsch nach Nähe als nach Distanz auszudrücken schien. Als wäre es eine unabgesprochene Übereinkunft, redeten sie sich weiterhin höflich an, doch selbst Galbert hörte heraus, daß da plötzlich mehr war als gegenseitiger Respekt. Der Wind war warm und wehte kleine, schwache Staubfähnchen vor den Hufen ihrer Pferde her, als sie zwischen den Hütten ankamen. Ihre Tritte klangen hohl und überlaut. Außer ihnen und dem hohen, unablässigen Sirren der Grillen ließ sich kein Laut vernehmen. Das Dorf war vollkommen menschenleer.
    »Wo sind denn alle?« fragte Galbert.
    »Auf den Feldern, nehme ich an.«
    »Und die Kinder? Und die Alten?«
    Philipp zuckte mit den Schultern.
    »Was für ein düsterer Ort«, bemerkte Aude. »Selbst im Tageslicht wirkt er geduckt.« Sie warf einen Blick auf die verschiedenen Talismane, die an den Häusern angebracht waren. Als sie die Scheune passierten, an der noch immer die toten Tiere zu sehen waren, mittlerweile in der Sonne gedörrt und von Fliegen bedeckt, verengten sich ihre Augen. »Wovor fürchten sich die Leute hier?«
    »Vor der Frau ihres Herrn.«
    »Ich dachte, sie sei tot.«
    »Genau das ist der Fall.«
    Aude starrte Philipp an. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Galbert sich bekreuzigte.
    »Die guten Leute hier halten sie für eine Hexe und fürchten, daß sie beim nächsten Vollmond aus dem Grab steigen und Radolf zu sich holen wird«, erklärte Philipp. Aude schüttelte den Kopf.
    »Vor drei Nächten war Vollmond«, murmelte Galbert. Philipp drehte sich zu ihm um.
    »Was sagst du?«
    »Vollmond war vor drei Nächten. Ob sie ihn schon geholt hat?«
    »Das ist alles nur Aberglaube«, zischte Philipp. »Hast du nicht gesehen? Man hat sogar ein Käuzchen an der Scheunentür gekreuzigt.«
    »Ich habe es gesehen«, flüsterte Galbert. »So etwas tut man nur, wenn die Gefahr sehr groß ist.«
    »Und die Dummheit noch größer ...«, begann Philipp, aber Aude gab ihm einen Wink, und er schwieg.
    »Hört auf, ihn zu verspotten«, sagte sie. »Selbst mir ist hier unheimlich. Wo sind die Leute? Galbert hat recht: Es müßten zumindest ein paar Alte und Kinder zu sehen sein.«
    »Hier gibt es ausschließlich Alte und Kinder; und von letzteren nicht besonders viele. Entweder haben sie Angst davor, Kinder zu zeugen, damit die Hexe sie nicht holt ...«
    »... oder die Kinder sind zu früh gestorben«, vollendete Aude mit steinerner Miene.
    Sie warf einen Blick zu Radolfs Haus hinüber, zu dem sie jetzt freie Sicht hatten, ein massiver, grauer Klotz am Endeder Straße, ein trister Fleck im strahlenden Sonnenlicht.
    »Werden uns die Torwächter einlassen?«
    »Es gibt keine Torwächter«, erklärte Philipp.
    »Und die Bewaffneten, die den Besitz des Herrn gegen Fremde verteidigen?« fragte Galbert.
    »Radolf lebt dort so gut wie allein. Keiner aus dem Dorf will für ihn arbeiten, mit Ausnahme eines alten Weibes, das seine Tochter behütet, einer jungen Küchenhilfe aus dem Dorf und des Pferdeknechtes, der ebenso abergläubisch ist wie du.«
    Aude hielt ihr Pferd vor dem Tor an und zögerte. Auch Philipp sah sich langsam nach allen Seiten um und versuchte sogar über die Böschung hinwegzuspähen. Schließlich rief er laut nach Radolf und nach Dionisia. Aude hörte gedämpftes Pferdewiehern als Antwort. Sonst blieb alles still. Philipp wandte sich im Sattel um und sah sie an.
    »Wenn uns niemand empfängt, müssen wir wohl so hineingehen«, sagte sie und fühlte sich nicht halb so entschlossen, wie sie tat. Philipp machte ein unzufriedenes Gesicht.
    »Radolf hat merkwürdige Gewohnheiten«, brummte er.
    »Aber zumindest Dionisia müßte uns hören.« Er richtete seinen Oberkörper auf und rief nochmals. Die Pferde wieherten erneut.
    »Das hört sich nicht wie Radolfs Stimme an«, brummte er. Aude lächelte unwillkürlich. Philipp kniff die Augen zusammen und sah sie an.
    »Es freut mich, daß ich Euch endlich wieder zum Lachen bringe.«
    »Ich lache meistens innerlich«, erwiderte sie trocken. Philipp grinste. Dann seufzte er. »Ich gehe hinein«, sagte er und saß ab. »Radolf hat mich zwar hinausgeworfen, aber er hat nicht gesagt, ich dürfe niemals wiederkommen.«
    Seine Schritte klangen dumpf auf dem Brett, das über

Weitere Kostenlose Bücher