Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
dichte Reihen grober Wolken wie eine gigantische Schafherde, die über den Himmel weideten und die noch nicht dagewesen waren, als Philipp das Gut betreten hatte.
»Es wird einen Sturm geben«, sagte Aude. »Wie sagt man bei Euch: ein Ge-Wetter?«
»Ein Gewitter. Ja, das ist üblich um diese Jahreszeit.«
»Wahrscheinlich regnet es bei uns zu Hause bereits.«
Philipp lächelte fast gegen seinen Willen.
»Ich werde unseren Wetterpropheten holen lassen, wenn Ihr Euch darüber zu unterhalten wünscht«, sagte er. »Ich selbst kann leider nur dann zuverlässig sagen, daß es regnet, wenn es mir bereits auf den Kopf tröpfelt.«
»Ich wünsche mich nicht über das Wetter zu unterhalten«, erklärte sie. »Das wißt Ihr genau.«
»Das habe ich schon befürchtet«, seufzte Philipp.
»Seid Ihr der Mann, mit dem sich Geoffroi hier treffen wollte?« fragte sie.
»Nein, Ich habe ihn nie vorher gesehen.«
»Ich dachte, das sei der Grund, warum Ihr drinnen im Beisein Eures Herrn so kurz angebunden wart.«
Philipp schüttelte den Kopf. »Wenn ich ihn kennen würde, wüßte mein Herr darüber Bescheid. Ich habe vor ihm keine Geheimnisse.«
»Weshalb wart Ihr dann so schweigsam? Ich sah es doch Eurem Gesicht an, daß Ihr nicht die Hälfte von dem sagtet, was Ihr wißt.«
»Tatsächlich?« Philipp tat, als müßte er seine Gesichtszügemit der Hand ergründen. »Ich sollte mir einen Eimer überstülpen, bevor ich mich mit Euch unterhalte.«
»Ich bin nicht in der Laune zum Scherzen«, erwiderte sie aufgebracht. »Ich bin tagelang gereist und habe mich in Eurer Stadt herumgetrieben, immer voller Angst, von Gesindel belästigt zu werden, und voller Sorge um meinen Gemahl. Ihr scheint der einzige zu sein, der mehr über ihn weiß; warum sagt Ihr mir nicht, was Ihr mit ihm zu schaffen hattet? Wenn Ihr mich nicht mögt, kann ich das nicht ändern. Aber Ihr könntet wenigstens um Eurer eigenen Mannesehre willen der Bitte einer Frau um Hilfe nachkommen.«
Philipp ließ die Schultern sinken und schaute zu Boden. Bevor er antworten konnte, fuhr Aude sanfter fort: »Er war betrunken, habe ich recht? So sehr betrunken, daß er sich nicht mehr wie ein vernünftiger Mensch fortbewegen konnte. Deshalb sagte mir der Wirt, daß er über Euer Erscheinen froh war: Ihr habt ihm geholfen.«
»Man hatte ihm das Geld gestohlen, als er nach dem Markt seinen Rausch ausschlief. Er bemerkte es erst, als er in der Herberge bereits etliche Becher getrunken hatte«, sagte Philipp.
»Ihr habt ihm Geld geliehen.«
Philipp nickte.
»Seht Ihr, ich weiß Bescheid«, sagte sie. »Ich kenne das: Die Männer wollen sich und ihre Torheiten immer gegenseitig vor den Frauen beschützen. Aber ich bin schon einige Jahre seine Frau, und ich kenne seine Fehler. Es tut mir leid, daß ich Euch vorhin angefahren habe. Ihr habt nur versucht, seine Ehre in Schutz zu nehmen.«
Philipp räusperte sich, ohne ihr zu antworten.
»Hat er Euch das Geld wieder zurückgegeben?«
»Ich habe ihn eingeladen«, brachte Philipp hervor.
»Das ist sehr freundlich von Euch. Ich danke Euch.« Aude lächelte ihn an, aber dann verfinsterte sich ihr Gesicht wieder. »Hat er denn nicht gesagt, was er danach tun wollte? Ohne Geld? Wie weit kommt man denn mit einem leeren Beutel?«
Ein Dieb holt sich sein Geld schon wieder, verlaß dich drauf , dachte Philipp. Wer weiß, ob die Münzen, die man ihm gestohlen hat, überhaupt die seinen waren.
»Er hat gesagt, er würde sich am nächsten Morgen mit einem Mann treffen, der ihm Geld schulde«, erklärte Philipp.
»Hat er seinen Namen gesagt?«
»Nein.«
Aude schüttelte den Kopf. »Ich greife ständig ins Leere«, murmelte sie.
»Ihr müßtet doch die Freunde Eures Mannes kennen«, platzte Philipp heraus. »Hat er Euch gegenüber denn keinen Namen erwähnt?«
»Nein«, sagte sie und etwas leiser: »Er hat niemals von irgendwelchen Freunden gesprochen.« Philipp erwiderte nichts darauf, und Aude seufzte und blickte in den Himmel, der schon zu einem Viertel mit Wolken bezogen war. Die Abendsonne war hinter den Wolken verschwunden, aber es wurde nicht kühler.
»Wißt Ihr, er war nicht immer so«, erklärte Aude. »Er hat mit dem Trinken angefangen, als er das erste Mal hier war.«
»Hier? Ihr meint hier in der Stadt?«
»Es ist schon etliche Jahre her. Ich war noch ein Mädchen und wartete darauf, daß er mich würde heiraten, so wie seine und meine Eltern es einander versprochen hatten. Erschob es ständig hinaus und scherzte,
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