Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
sein Treiben offensichtlich nicht Bescheid wußte, war etwas anderes. Es gehörte sich nicht, einer Frau die Fehler ihres Mannes vorzuwerfen.
»Zu Euch hat er ... ?« fragte Aude.
»... nichts davon gesagt, wohin er sich wenden wolle«, vollendete Philipp lahm. »Ich kann Euch nicht helfen.«
Aude starrte ihn an und wandte sich dann ab. »Seid Ihr sicher?« fragte sie. »Ich habe schon in der ganzen Stadt herumgefragt, aber niemand scheint Geoffroi getroffen zu haben; niemand außer Euch. Hat der Wirt mich belogen?«
»Nein, er hat Euch nicht belogen. Ich habe mich mit Eurem Mann unterhalten.«
»Ich verstehe nicht, daß er Euch nicht hat erzählt, wohin er will. Er ist so ... er redet so gerne.« Das habe ich allerdings gemerkt, und dabei trinkt er gern einen über den Durst. »Ich kenne ihn. Wenn er glaubt, daß er jemandem vertrauen kann, dann tut er das auch.«
»Vielleicht hat er mir nicht vertraut«, sagte Philipp wütend. »Dann hätte er sich nicht mit Euch unterhalten. Er ist freundlich, aber er ist kein aufdringlicher Mann.«
Soll ich dir sagen, warum er sich mit mir unterhalten hat, fränkisches Täubchen? Weil ich seine Zeche bezahlt habe.
»Wie es scheint, hat er Euch auch nicht vertraut, sonst hätte er Euch gesagt, was er vorhat.«
Aude sah verletzt aus. »Er hat es mir gesagt«, stieß sie hervor. »Er wollte sich hier in dieser Stadt mit einem Freund treffen und etwas besprechen, was ihn schon seit einiger Zeit beschäftigte. Ich bin ihm nachgereist, als er nicht zurückkam in der rechten Zeit.«
»Ich weiß jedenfalls nicht, wo er sich jetzt aufhält«, sagte Philipp unwirsch.
Aude seufzte und ließ die Schultern sinken.
»Nun«, mischte sich Philipps Herr ein, »mein Truchseß ist gerade eben nach Hause zurückgekehrt und sicherlich erschöpft von seinem Ritt. Vielleicht fällt ihm morgen etwas ein, das Eurer Sache dienlicher ist.«
Philipp schüttelte finster den Kopf, aber sein Herr beachtete ihn nicht. Er klatschte in die Hände und rief nach dem Mann, der in Philipps Abwesenheit für die Geschäfte auf dem Gut verantwortlich war.
»Jeder, der in der nächsten Zeit in die Stadt kommt, soll sich ein wenig nach einem Mann umhören, dessenBeschreibung du gleich hören wirst und dessen Name Geoffroi Cantat ist«, sagte Philipps Herr mit einem Seitenblick auf Aude. »Wer auf ihn selbst trifft, soll ihn einladen, zu mir zu kommen.«
Philipps Vertreter nickte. »Schoffra Kantah«, radebrechte er. Philipp hörte zum wiederholten Mal Minstrels Beschreibung, seine hochgewachsene Gestalt, seine dunklen Haare, sein blasses Antlitz, seine hageren Gesichtszüge. Aude sprach langsam und konzentriert und gab sich Mühe, kein Detail auszulassen; es klang, als würde sie einen Traum rezitieren. Philipp lauschte ihren Worten mit wachsendem Entsetzen. Wie sehr ihre Beschreibung dem Mann aus Dionisias Alptraum ähnelte; dem Mann, dessen Lachen Dionisias Welt in Brand gesteckt hatte!
»Ich hoffe, daß meine Leute etwas über Euren Mann in Erfahrung bringen«, sagte Philipps Herr, nachdem Aude ihre Beschreibung beendet hatte. »Ihr seid selbstverständlich auf meinem Besitz willkommen, Aude Cantat. Bleibt, solange Ihr es wünscht.«
»Ich bin Euch sehr verpflichtet«, erwiderte sie. Mit einem Kopfnicken wandte sie sich von ihm ab und musterte Philipps finsteres Gesicht.
»Ist Euch noch etwas eingefallen?« fragte sie ihn. »Ihr seht so nachdenklich aus auf einmal.«
Philipp bemerkte zum erstenmal die Unruhe hinter ihrem selbstbewußten, beherrschten Auftreten. Wenn Minstrel nicht mehr zurückkam, würde sie früher oder später ihren Besitz verlieren oder, sollte er für tot erklärt werden, von jedem tölpelhaften Schlagetot, der sein eigener Herr war, mit Heiratsabsichten verfolgt werden. Sie war zu schön, um auf Dauer unbelästigt zu bleiben. Sie konnte sich entweder neu verheiraten, zu ihren Verwandten zurückkehren oder in ein Kloster eintreten. In allen Fällen würde sie ihre Habe und ihre persönliche Freiheit verlieren. Und nicht zuletzt mochte es sein, daß sie Minstrel liebte und sein Verlust ihr auch das Herz brechen würde. Sie ist auch nur jemand, dessen Vertrauen dieser Schurke mißbraucht hat , dachte er. Sie weiß gar nichts über ihn.
»Nein«, erwiderte er knapp und beschloß im selben Atemzug, ihr nichts über seinen Verdacht betreffs Minstrel zu verraten. Das ist keine Frauensache , dachte er. Aber tief in seinem Herzen wußte er, daß er kein Recht hatte, Aude die Wahrheit
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