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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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tschechisch, russisch, ungarisch, bulgarisch, rumänisch und französisch. Sieben Sprachen, von denen ich leider keine verstehe. Englisch und deutsch spricht er überhaupt nicht und spanisch eben nur wenig. Ich lasse aber nicht locker. Zu gern möchte ich wissen, was er erlebt hat und warum er sich zu dieser strapaziösen Pilgerreise durch sieben Länder entschlossen hat. Mühsam bekomme ich heraus, daß er passionierter Wallfahrer sei. Zunächst habe er alle Wallfahrtsorte in Polen besucht, natürlich zu Fuß. Dann wollte er nach Jerusalem, habe aber nur die Erlaubnis erhalten, von der israelischen Grenze ab zu pilgern, deshalb sei er barfuß gegangen, um sich die Aufgabe zu erschweren.
    Ich möchte erfahren, warum er das macht. Seine Antwort ist: »Für Gott!«
    Wir finden das refugio und auch einen Mann, der uns die Tür öffnet. Es ist das ehemalige Schulgebäude, das jetzt leer steht und zerfällt. Durch das schadhafte Dach regnet es herein. Am Boden liegen Holzbalken. Mit Strohbüscheln säubern wir eine trockene Stelle von Staub und Mörtel, um dort das Lager zu errichten.
    Mir geht das schwarzäugige Berbermädchen nicht aus dem Kopf, also ziehe ich noch mal den Regenumhang über und spaziere durch das Dorf. Ich begegne nur einer alten Frau. Sie kennt kein Mädchen. Sie sagt, in Rabanal würden nur neun alte Leute wohnen. In den Ferien kämen einige Familien zurück. Rabanal sei kein Ort mehr, in dem man lebt, sondern nur noch zum Sterben gut und um hier Urlaub zu machen, sagt die Alte. Der Pole liegt schon im Schlafsack, als ich zurückkomme. »Pavel, erzähl mir doch was von deinen Erlebnissen«, bitte ich.
    »Da gibt es nicht viel zu sagen.«
    »Welche Unterschiede hast du denn zwischen den sieben Ländern festgestellt? Ich meine, wie haben sich die Menschen dir gegenüber verhalten?« versuche ich ihn auszufragen.
    »Ach, die waren alle ziemlich gleich«, antwortet Pavel lakonisch. »Nur in Frankreich hatte ich Schwierigkeiten. Dort waren die Leute sehr unfreundlich. Sie haben mich wie einen Landstreicher behandelt, die Hunde auf mich gehetzt und mir nicht einmal Wasser gegeben.«
    »Du sagtest doch, du würdest französisch können. Warum hast du nicht gesagt, du seiest ein Pilger?«
    »Ich habe versucht, mit ihnen zu sprechen. Französisch beherrsche ich gut, weil ich in meiner Arbeit häufig französische Übersetzungen machen muß. Aber die Franzosen haben die Nase gerümpft, weil meine Aussprache nicht perfekt ist.« Ich entgegne, ich könne nicht glauben, daß die Franzosen ihn wegen fehlerhafter Aussprache schlecht behandelt hätten.
    »Es war aber so«, beharrt er. »Die Strecke durch Frankreich war schlimm. Ich war oft verzweifelt. Dagegen sind die Spanier ganz anders. Sie sind begeistert, wenn man überhaupt ein paar Worte ihrer Sprache spricht. Und es ist ihnen egal, ob die Grammatik und die Betonung stimmen.«
    Am nächsten Tag regnet es noch immer. Ich erkläre Pavel, daß ich allein wandern wolle. Der Weg hat sich in einen Bach verwandelt. Der Regen ist kalt, und der stürmische Wind verfängt sich im Regenumhang, reißt am Rucksack. Er weht von allen Seiten. Wie ein Derwisch tanzt er um mich herum, schüttet mir den eisigen Regen ins Gesicht und gleich darauf stemmt er sich mir in den Rücken. Der Regen verwandelt sich in Eis. Spitze Eisnadeln treffen meine Haut. Das Unwetter gefällt mir. Von mir aus könnte es noch doller kommen, schade nur, daß man sowenig sieht. Nun fällt auch noch Schnee. Ich kann kaum noch zwei Meter weit blicken, da tauchen plötzlich ein paar Häuser aus dem Schneegestöber auf. Die Strohdächer sind vermodert, die Balken eingeknickt, und auch die Mauern aus aufgeschichteten Steinen zerfallen schon. Bald wird nichts mehr daran erinnern, daß hier einmal Menschen gelebt haben.
    Plötzlich tritt eine Gestalt hinter einer Mauer hervor. Ich erschrecke heftig. Denn ich kann mich nicht gut verteidigen mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken und behindert von der Regenkleidung.
    »Ich bin's doch, der Pavel, erkennst du mich nicht?« beruhigt mich der Pole. »Ich habe auf dich gewartet. Wir gehen jetzt zusammen! Ich lasse eine Frau nicht allein durch die Berge laufen.«
    Ich ärgere mich über diesen Ton und entgegne: »Das kommt nicht in Frage! Ich gehe immer allein!«
    Er bleibt stur: »Das ist mir egal. Ich gehe nur, wenn du gehst, und bleibe stehen, wenn du stehenbleibst.«
    Wenn es darauf ankommt, stur zu sein, bin ich die Sturste von allen. Nachdem ich bemerkt

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