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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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Besucherstrom zu warten, auf Touristen, die einmal ein »richtiges Dorf« besichtigen wollen. Einwohner sind nicht zu sehen, nur ein großer Hund mit braunem Fell liegt mitten auf der Straße.
    Ich finde keinen Lebensmittelladen. Dafür kann ich in einer Bar kaufen, was ich benötige.
    Bergig erhebt sich hinter dem Dorf das Land. Karge Weiden mit Mauern aus aufgeschichteten Feldsteinen. Einzelne uralte Bäume mit kuppelförmigen Laubkronen. Wind, Sonne, Einsamkeit. Immer höher geht es hinauf ins Gebirge. Dumpf tönen die Rufe der Wiedehopfe: »Uub, uub, ub, ub, ub, uub, uub...« Die hähergroßen Vögel stochern mit gebogenen, pinzettenartigen Schnäbeln im Erdreich. Leuchtend orangefarben und schwarz ist das Gefieder. Ab und zu richten sie die hohe Federtolle des Kopfes auf. Es ist, als würde im Gras plötzlich eine orangerote Blume erblühen. Die schwarzweiße Bänderung der Flügel und des Schwanzes kommt erst beim Flug richtig zur Geltung. Mit ihren gerundeten Flügeln flattern sie unregelmäßig und schwankend, so als seien sie große, schwarzweiße Schmetterlinge. Noch nie habe ich so viele Wiedehopfe gesehen; ich zähle neunzehn auf einmal.
    Zwischen den aufgeschichteten Mauern und Steinhaufen sonnen sich riesengroße Eidechsen. Als ich das erste Tier erblicke, glaube ich einen jungen Saurier entdeckt zu haben. Die Echse mißt fast einen Meter. Der massige eckige Schädel ist mit grünlichen Schildern bedeckt, der Rücken schwarzgrün geschuppt, an den Flanken leuchten himmelblaue Punkte. Eine Perleidechse! Die größte in der Familie der Lacertiden, der Eidechsenartigen. Ich bin ihr zu nahe gekommen, mit heftigen Körperbewegungen springt sie von ihrem Sonnenplatz herunter, rennt blitzschnell auf dem sandigen Weg entlang, Staub stiebt auf und schon ist sie in einem großen Erdtunnel verschwunden. Ich bin erstaunt, wie behend sich dieses wuchtige Tier bewegt hatte. Noch viele Perleidechsen sehe ich, doch die erste war zugleich auch die größte von allen.
    In römischer Zeit wurde hier in den Bergen der Maragatería nach Erzen geschürft. Es waren nur kleine Bergwerke, und trotzdem sind die Wunden, die damals in die Erde gerissen wurden, noch immer sichtbar. Abseits des Weges entdecke ich die Mine »La Fucarona«. Ein ungefähr fünfzehn Meter tiefer Trichter führt in die Erde, abgestuft in mehreren Terrassen und bewachsen mit Ginster, Heidekraut und Dornenbüschen. Es ist still, die Sonne brütet über dem steinigen, trockenen Land. Da beginnt ein Ortolan sein Lied zu singen. Vor vielen Jahren habe ich zum ersten Mal einen Ortolan gehört. Damals studierte ich in Greifswald Biologie. Zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter waren wir Studenten an den Wochenenden unterwegs, um Vögel zu beobachten. Wir zelebrierten ein Studentenleben wie aus längst vergangener Zeit. Die Greifswalder Universität war klein, an der biologischen Fakultät studierten insgesamt kaum 50 Biologiestudenten. Studenten, Dozenten und Professoren waren an dieser kleinen Universität recht unabhängig von der Politik des Staates. Wir Studenten fühlten uns frei von den Vorschriften, die an anderen Universitäten galten und machten, was uns gefiel. Es waren harmlose Dinge, übermütig, ausgelassen und verspielt. Wir zogen durch die Lande, mit Gitarre, Fernglas und Schmetterlingsnetz, sangen alte Burschenschaftslieder, badeten im Winter zwischen Eisschollen im Meer, sprangen nackt ums Lagerfeuer, ernährten uns auf den Exkursionen von Pilzen und Beeren und dem, was auf den Feldern und Bäumen wuchs, holten Fische aus den Reusen, schlichen uns im Dunklen an brunftschreiende Hirsche heran, hausten in Scheunen und verlassenen Gebäuden, brauten unsere Maibowle aus Waldmeisterblättern und nahmen jedes tote Tier für unsere Sammlungen mit. Als wir damals den Ortolan singen hörten, waren wir sehr aufgeregt. Keiner hatte zuvor diesen Gesang vernommen. Ein wenig erinnert er an den einer Goldammer, ist aber weicher, klangvoller, melodischer, schwermütiger. In Erwartung, eine für uns neue Vogelart zu sehen, pirschten wir uns vorsichtig an den Baum, aus dem der Gesang ertönte. Plötzlich stellte sich uns ein Bauer in den Weg. Er schimpfte ärgerlich, weil wir seine Wiese zertrampelten. Wer unser Führer sei, wollte er wissen. Einer sagte: »Es gibt keinen >Führer< mehr, der ist schon lange tot, jetzt weisen uns nur noch die Vögel mit ihren Liedern den Weg, und der führt nun einmal gerade durch die Wiese.«
    Währenddessen war ich weiter

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