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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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attraktiver zu gestalten sei.
    »Neue refugios müssen gebaut werden!« rufen sie aus. »Nach jeder Tagesetappe muß es eine Unterkunft geben. Keine primitiven ohne Wasser wie bisher, sondern solche wie in Santo Domingo. Nicht wahr, dort hat es Ihnen gefallen?«
    Wieder werden wir umarmt, Küsse auf die Wangen, schon sitzen die beiden amigos wieder im Auto, noch mal hupen, winken, »suerte por el camino - Glück auf den Weg« und da brausen sie davon.
    Der Pilgerweg wird seine Wirkung verlieren, wenn tatsächlich eine Kette komfortabler Refugios aneinandergereiht werden. Es ist dann ein Fernwanderweg wie jeder andere. Pilgern bedeutet auch, Entbehrungen auf sich zu nehmen, also die Mühsale des Weges zu ertragen: Hunger, Durst, Kälte, Hitze, ein hartes Lager, Erschöpfung. Wer sich diesen Plagen stellt und sie überwindet, erfährt eine Art Läuterung und Bewußtwerdung. Selbstverständliches ist plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Man merkt, wieviel Kraft es kostet, mit Unbequemlichkeiten fertig zu werden, aber nach der Überwindung erhält man vielfache Kraft zurück. Es sind elementare Erlebnisse, die so im Alltagsleben nicht erfahrbar sind. Deswegen ist der Pilgerzug für jeden eine seine Persönlichkeit beeinflussende Erfahrung. Darum sollten Herbergen wie in Santo Domingo eine Ausnahme bleiben.
    »Nichts bleibt, wie es ist«, sagt Justin. »Seien wir froh, daß wir den Weg noch auf diese Weise erleben können.«
    »Es werden mehr und mehr Leute nach Santiago pilgern«, prophezeit Atze. »Die Spanier verdienen an dem Pilgerstrom und bauen dann viele Unterkünfte. Und dadurch kommen noch mehr Menschen. Puh, ein schlimmer Kreislauf.«
    »Es bleibt jedem freigestellt, wo er übernachtet«, meint Gerda.
    »Wer schwimmt schon gegen den Strom«, gibt Justin zu bedenken. »Ich nicht - wenn es bequeme Unterkünfte jetzt schon überall gäbe, ginge ich nicht vorbei. Da wäre ich ja bescheuert. Aber da es sie nicht gibt, war ich in Los Arcos bei einem Pfarrer zum Abendessen eingeladen, und in Cirauqui habe ich bei einer Familie übernachtet. Wenn es zukünftig genügend Herbergen geben wird, werden sich die Kontakte zu den Menschen nicht mehr so einfach ergeben.«
    »Durch das Pilgern bin ich selbstbewußter geworden«, sagt Atze. »Schade, wenn der camino zu einem touristischen Wanderweg ausgebaut wird, können die Menschen in einigen Jahren nicht diese Erfahrungen machen wie wir jetzt noch.«
    »Für mich ist es anstrengend genug, jeden Tag zu laufen«, widerspricht Gerda. »Da bin ich dankbar, wenn ich am Abend ein Quartier vorfinde und duschen und mich erholen kann.« Atze bleibt bei seiner Meinung: »Das Einmalige des Pilgerweges, ein Weg zu sein zu sich selbst, ginge verloren. Nur durch Überwindung von Schwierigkeiten wird man sich der eigenen Kraft bewußt, das lerne ich jeden Tag auf dem camino.«
    Die Straße führt durch eintönig grüne Felder. Die Grenze zwischen Rioja und Altkastilien verläuft hier. Der Boden scheint in Kastilien weniger fruchtbar zu sein als in der Provinz Rioja. Das Getreide wächst spärlich.
    Wir erreichen Redecilla del camino, ein eher armseliges Dorf. Dabei deutet der Zusatz »del camino« darauf hin, daß Redecilla einstmals eine wichtige Station des Pilgerweges war. Die Kirche birgt eine Kostbarkeit, ein romanisches Taufbecken. Aus einem einzigen großen Stein gehauen, hat er die Form eines Kelches. In die Außenwand des Kelches sind Häuser mit Balkonen, Türmen und Fenstern gemeißelt. Sie stellen das himmlische Jerusalem dar.
    Als wir aus der Kirche heraustreten, ziehen gerade Kühe zum abendlichen Melken nach Redecilla ein. Die Herde füllt die Dorfstraße aus, schiebt und drängelt braunweiß aneinander vorbei. Jede sucht ihre eigene heimische Stalltür, vor der sie geduldig stehenbleibt, bis sie von den Menschen eingelassen wird.
    Wir gehen noch gemeinsam bis Belorado, wo die anderen vom Pfarrer ein Matratzenlager zugewiesen bekommen. Ich wandere allein noch zwei Stunden weiter bis in die Oca-Berge. Das Land steigt an, langsam, unaufhörlich. Das Abendlicht ist mild und weich. Grauammern trillern monoton. Ich genieße es, wieder allein zu sein und die Natur zu spüren. Das Zusammensein mit Menschen lenkt ab und die Gespräche strengen an, ich brauche dann wieder Distanz.

    Vor den Bergen liegt Villafranca de Montes de Oca, so benannt nach den Franzosen, die sich hier wie vielerorts in Spanien ansiedelten. Heute ein armes Nest, war Villafranca einstmals Bischofsstadt.

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