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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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läuten. Als ich in die Kirche hineinschaue, ist sie voller Menschen, gerade ist Gottesdienst.
    Am Ende des Taleinschnittes führt der Pfad wieder zur Meseta hinauf. Plötzlich ein ungewöhnlicher Laut, hell schallt es »prürr, prürr«, ein rauhes »krük krük« folgt. Ich kenne den Ruf und schaue suchend umher. Ich habe ihn schon einmal in Griechenland gehört. Da fliegt er, dieser außergewöhnlich bunte Vogel. Er hat lange rotbraune und grüne Flügel. Die Kehle ist leuchtend gelb und mit schwarzen Streifen eingefaßt. Der Bauch türkisblau. Die Stirn hellgrün, Kopf und Rücken kastanienbraun. Der dunkelgrüne Schwanz hat in der Mitte herausragende Steuerfedern. Dieser etwa drosselgroße Vogel mit dem sehr langen, gebogenen Schnabel ist ein Bienenfresser. Ein zweiter folgt. Nach einigen Flügelschlägen läßt er sich mit schwungvollen Bögen durch die Luft gleiten, und da kommt noch einer, und noch einer: »prürrr, prürrr, prürrrr«. Eine Gruppe tropisch bunter Vögel schwirrt durch die Luft, macht Jagd auf Wespen, Bienen, Hornissen, Hummeln und andere fliegende Insekten. Mit der Beute setzen sie sich auf einen übersichtlichen Sitzplatz, schlagen das Insekt mehrmals auf den Ast, verschlingen es oder sie fliegen mit ihm zu einer senkrechten Lehmwand und verschwinden dort in einem Loch. Die Wand ist durchlöchert wie Schweizer Käse. Das sind die von den Vögeln selbst angelegten Niströhren. Nur mit dem langen Schnabel und ihren winzigen Füßchen graben sie zwei Meter tiefe Gänge.
    Am Boden des Lehmabhanges finde ich drei Federn: eine grüne, eine gelbe und eine rotbraune. Lange beobachte ich die Vögel. Ich kann mich nicht satt sehen an der exotischen Farbenpracht ihres Gefieders, dem ungewöhnlichen Flugbild mit den verlängerten Schwanzfedern in der Mitte, dem eleganten Gleiten und ihrer geschickten Jagd auf Insekten. Bienenfresser verhalten sich als Vögel ungewöhnlich - sie helfen sich gegenseitig. Diejenigen, die keine eigene Brut haben, füttern die Jungen der anderen mit.
    Ich steige den Abhang hinauf, und wieder zieht sich der Pilgerpfad, ein Wiesenweg, durch die tischebene Platte, Stunden um Stunden und er will kein Ende nehmen! Das ist die Meseta, von der Pater Don Rafael gesprochen hatte. Ich verliere das Gefühl für die Zeit, denn alles weitet sich zu einem grenzenlosen Raum; ich gehe und gehe, und doch bleibt alles gleich, ich bin ein Nichts in einem unendlich scheinenden Getreidemeer. Gegen Abend wieder ein Talgrund. Von oben blicke ich auf rote Dächer und eine Kirche mit Glockenturm, das Dorf Hontanas. Die Siedlung schmiegt sich in die Senke. Von den Abhängen der Meseta strömen Schafherden zum Dorf. Wie helle Wasserläufe fließen sie zuerst noch oben auf der Ebene, in breiter Front, dann stauen sie sich am Rand, bis sie ihren Weg gefunden haben und sich wie Sturzbäche ins Tal ergießen, unten breiten sich die Schafherden wieder aus und trotten allmählich auf Hontanas zu. Als wolle der Strom nicht versiegen, quillt Herde auf Herde aus der Meseta hervor. Am nächsten Tag werden sie im Morgengrauen wieder in die Hochebene ziehen. Ich verspüre den Wunsch, in Hontanas zu übernachten, male mir aus, wie angenehm es sein wird, wenn in einer Gaststätte endlich mal wieder Teller voller Essen vor mir stehen, mindestens drei verschiedene Gerichte werde ich bestellen. Rotwein will ich mir gönnen und viel reden werde ich. Wie lange habe ich mit keinem Menschen gesprochen! In Silos nur wenige Sätze und seitdem überhaupt kein Wort mehr.
    Ich wünsche mir so sehr, die anderen Pilger in Hontanas zu treffen, daß ich gar nicht daran zweifle.

    Auch in der Nähe bleibt Hontanas eine anheimelnde Ortschaft, friedlich und ruhig, fernab von Straßen, unbeeinflußt von Veränderungen. An weißen Mauern ranken Rosen, vor den Häusern blühen Stauden, Weinlaub umwuchert die Fenster, aus einem Brunnen sprudelt frisches Wasser, aber eine Gaststätte und eine Pilgerherberge gibt es hier nicht. Ich frage ein Kind nach einem Dorfladen.
    »Hier gibt es nichts zu kaufen«, antwortet es.
    »Aber ich brauche Brot.«
    »Ja, Brot haben wir, selbstverständlich!« sagt das Kind, erfreut darüber, mir helfen zu können. Es führt mich nicht zu einem Bäckerladen, sondern zu seinen Eltern.
    »Wir backen alle unser Brot selber.«
    Die Mutter drückt mir einen runden Brotlaib von einem halben Meter in den Arm. Eine Bezahlung lehnt sie freundlich, aber sehr bestimmt ab.
    Ich wäre gern in Hontanas geblieben, weil es

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