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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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Staub füllt die winzigen Trichter.
    Nach Sahagún gelange ich am frühen Morgen. Die Bewohner scheinen alle noch zu schlafen; einsam klappern meine Schritte über das Kopfsteinpflaster.
    Der Klang des Wortes »Sahagún« hatte mich eine schöne mittelalterliche Stadt erwarten lassen. Doch schon von weitem bin ich von der Stadtkulisse enttäuscht. Weiße, klobige Speicherhäuser drängen sich in den Vordergrund. In der Stadt herrscht ein Durcheinander von alten zerfallenden Lehmhäusern und stillosen Neubauten. Ich biege um eine Straßenecke und bleibe verblüfft stehen. Was ist das? Eine Kirche, aber sie besteht aus braunroten Ziegeln. Ein romanischer Backsteinbau. Das Kirchenschiff ist mit zierlichen Blendarkaden und mit Hufeisenbögen und der Turm mit dreistöckigen Fensterarkaden geschmückt. Die Kirche ist im Mudejar-Stil gebaut, der im 11. Jahrhundert in den zurückeroberten Gebieten entstand, häufig ausgeführt von dagebliebenen arabischen Baumeistern. Während die Bauwerke der mozarabischen Romanik schwerer, ernster und mystischer sind, ist die Mudejar-Romanik zierlich und verspielt. Die Kirche San Tirso hier in Sahagún zeigt den Mudejar-Stil in höchster Vollendung. Es ist eine Lust, dieses Bauwerk zu betrachten. Das Mauerwerk ist originell verziert. Die Ziegel wurden verkantet gegeneinander gesetzt und so entstanden Ornamente. Backsteine verwendete man, weil es in der Meseta kein anderes Baumaterial gibt.
    Ich überquere die Plaza Mayor - menschenleer und still ist der Platz in der Morgenfrühe, gehe weiter eine Straße entlang, mit häßlichen Neubauten, lieblos hingeklotzt, aber schön dann die zweite Backsteinkirche von Sahagún, die Kirche San Lorenzo. Wertvoll und auffallend wie eine dunkle Perle steht sie da. Aus Backsteinen konnte man besonders hohe Türme bauen. Mächtig ragt er empor, doch seine Schwere wird wunderbar durchbrochen von hohen Fensterbögen, die sich vierstöckig übereinanderreihen.
    Am Ortsausgang steht ein weißes Straßenschild, gekennzeichnet mit der Zeichnung der Pilgermuschel. Das Schild verkündet mit schwarzen Buchstaben und Zahlen: »Santiago de Compostela 335 Kilometer«. Es sind nur noch 335 Kilometer bis zum Ziel! Ich hatte mir bis dahin keine Gedanken gemacht, wie weit es noch sein könnte. Jeden Tag bin ich gelaufen, außer den beiden Ruhetagen in Suso und Villalcázar. Morgens hatte ich immer die aufgehende Sonne im Rücken, mittags senkrecht und glühendheiß über mir und abends leuchtete mir der rote Sonnenball ins Gesicht. Jeden Tag vom Morgenrot bis zum Abendrot bin ich gewandert. Das Laufen ist mir zur Gewohnheit geworden. Am Morgen der ausgeruhte Körper, der Geist gespannt auf die Erlebnisse des Tages. Bei Sonnenuntergang eine wohlige Müdigkeit, schwer die Glieder, bleiern die Füße, die Seele voll von dem Erlebten. Ein schönes, ein einfaches, ein sinnvolles Dasein. Ich hatte so ganz im Gegenwärtigen gelebt, von Tag zu Tag, bestimmt vom Lauf der Sonne, die meinem Weg die Richtung angab, von Ost nach West, daß ich das Ziel ganz vergessen hatte. Ich will gar nicht ankommen. Wie schön wäre es, immer so weiter zu wandern, einem Ziel entgegen, das gar nicht existiert oder das sich im gleichen Maße entfernt, wie man ihm näher kommt, dann brauche ich nie mehr umzukehren, nie mehr zurück, für immer nach Westen wandern, immer weiter...

     
    Aber da ist das Schild und die Zahl: 335 Kilometer. Auch wenn diese Anzeige die Landstraße betrifft und der Fußweg wegen seines gewundenen Verlaufes länger ist, befinde ich mich bereits im letzten Drittel. Die Provinz León durchquere ich gerade, und dann kommt nur noch Galicien!
     

18 Von Sahagún bis León
     
    »Es war wie im Märchen Hase und Igel«, sagt Atze. »Überall wo ich hinkam, warst du schon gewesen. In Carrión de Condes hat mir der Junge Antonio von dir erzählt, und auch der cura in der Kirche Santa María erinnerte sich an dich. In Sahagún sagte mir eine Frau, du hättest sie nach dem Weg gefragt. Ich war am gleichen Tag wie du in Sahagún, aber erst am Abend. Ich habe dort im refugio übernachtet und in einem Restaurant toll gegessen!«
    »Ich habe jetzt auch riesigen Hunger. Laß uns essen gehen«, schlage ich vor.
    »Ja, aber sag mir erst, wie kommt es, daß du ständig voraus warst und ich trotzdem als erster in León angekommen bin, ohne dich aber beim Überholen gesehen zu haben?« »Ich bin nach San Miguel de la Escalada gegangen. So heißt die alte Klosterkirche aus dem Jahr 913. Sie

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