Der Jakobsweg
liegt etwa drei Stunden abseits des Pilgerweges.«
»Jetzt werde ich aber langsam böse mit dir«, empört sich Atze. »Immer weißt du von solchen Besonderheiten und sagst mir vorher nichts davon.«
»Erst vom Priester in der Backsteinkirche San Lorenzo in Sahagún habe ich von Escalada erfahren«, rechtfertige ich mich. »Mönche aus Cordoba, die wegen der Araber bis hierher geflüchtet waren, haben diese Klosterkirche bauen lassen. Sie liegt heute einsam auf einem flachen Hügel, umgeben von Kornfeldern. Das mozarabische romanische Bauwerk ist vollendet proportioniert, alles ist stimmig: Das Licht, das durch die Alabasterstreifen hereinfällt, die eleganten Säulen aus dunklem und die Kapitelle aus weißem Marmor, die ausgewogene Gliederung der Raumaufteilung, die schwebenden Schwünge der Hufeisenbögen und die grazile Bogengalerie der Vorhalle.«
»Schade, daß ich sie nicht gesehen habe«, bedauert Atze. In der Altstadt Leons finden wir eine einfache Gaststätte mit nur einheimischem Publikum. Die Stube ist eng und dunkel, mit alten Holztischen und Bänken. Ein schwarzes Ofenrohr durchzieht den Raum.
»Wie war der Weg von Sahagún bis León für dich?« fragt der Holländer und erzählt gleich selbst: »Vierzig Kilometer völlige Einsamkeit, endlose Ebene, Felder so dürr und trocken wie die Steppe und dazu die sengende Sonne, eine Hitze! Ich bin fast umgekommen. Nirgendwo eine Wasserstelle. Wie ein Verrückter bin ich gelaufen, weil ich hoffte, dich einzuholen. Zusammen wäre es viel leichter gewesen.«
»Ach, du weißt ja, ich mag extreme Landschaften. Ich habe mich recht wohl gefühlt«, erwidere ich.
»Du willst doch nicht etwa behaupten, daß es eine schöne Gegend ist?«
»Schön ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber faszinierend, ungeheuer faszinierend«, sage ich.
»Ungeheuer, ja, da hast du recht, ungeheuerlich! Und monoton! Monoton und langweilig, so würde ich es beschreiben!« Wir unterhalten uns in deutsch, da Atze sehr gut deutsch spricht.
Die Wirtstochter bringt unser Essen und stellt die Teller auf das dunkelbraune Holz des Tisches. Atze hat sich »Chuleta de Cordero« - Lammkotelett -, und ich habe mir »Cocido maragato « - ein Leoneser Eintopfgericht - bestellt.
»Weißt du, Atze«, setze ich nach dem Essen unser Gespräch fort, »vielleicht empfinde ich die Natur deshalb so intensiv, weil ich draußen übernachte. Durch den Kontakt zur Erde, das Einbezogensein in den Wechsel von Tag und Nacht, das Erleben von Dämmerung verschwinden die Trennschichten zwischen mir und der Umwelt, ich werde ganz und gar ein Teil von ihr. Denn ich liefere mich ja schutzlos aus. Ich habe nicht mal ein Zelt. Wenn es in der Nacht plötzlich anfängt zu gießen, würde ich pitschnaß werden. Trotzdem fühle ich mich geborgen und sicher. Vielleicht .weil es elementare Dinge sind, mit denen ich mich auseinandersetzen muß: Regen, Hitze, Sturm, Gewitter.«
Ein lauter Glockenton. Einer der Gäste ist aufgestanden und schlägt kräftig gegen die große Messingglocke neben der Theke. Alle schauen zu ihm. Der Mann verbeugt sich vor den Wirtsleuten, bedankt sich für Speise und Trank, nimmt seine Mütze und verläßt das Lokal. Wir bestellen noch zwei copitas vino tinto de la casa, Rotwein des Hauses.
»Du bist doch durch Calzadilla de los Hermanos und Calzada del Coto gewandert. Sind dir auch die vielen modernen Häuser in den Dörfern aufgefallen?« frage ich.
»Ja, die alten Häuser läßt man einstürzen und baut daneben häßliche neue. Dabei könnte man doch auch schöne neue Gebäude errichten.«
»Ich denke mir, es ist wie in den Dörfern in Deutschland. Die Leute lehnen ab, was alt ist, denn es bedeutet für sie: Armut, Mangel, Rückständigkeit, eben all das, was sie mit großen Anstrengungen überwunden haben und woran sie nicht mehr erinnert werden wollen. Das »Alte« soll es, darf es nicht mehr sein. Aber was nun? Ein neuer Baustil muß erst wachsen, er braucht Zeit, sich zu entwickeln. So ist man halt auf diese stillosen Neubauten verfallen und glaubt, sie seien schön, nur weil sie neu sind. Ich sprach mit einer Frau in Calzada del Coto. Sie berichtete mir, ihr Mann habe elf Jahre in Deutschland gearbeitet und Geld gespart, damit es ihnen besser ginge. Vom mühsam erworbenen Geld haben sie sich ein häßliches Betonhaus gebaut. Die Frau aber war sehr stolz und glücklich.«
Der Holländer fügt hinzu: »Na ja, muß sie wohl. In dem Haus stecken ja alle die Entbehrungen und Opfer von
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