Der Janson-Befehl
Ausplünderung einer globalen Ordnung, die der Westen als »natürlich« betrachtete. Er betete darum, dass jede Entscheidung, die er traf, alles, was er unternahm, sein Land dem Tag näher bringen würde, an dem sein Volk sich wieder den ummah, den Menschen des Islam, anschließen konnte und er dann nicht nur dem Namen nach ihr rechtmäßiger Kalif sein würde.
Die Begrüßung im Lager durch glattgesichtige Knaben ebenso wie graubärtige Würdenträger ließ ihn die machtvolle Bruderschaft verspüren, die zwischen seinen Glaubensgenossen herrschte. Der ausgetrocknete, hellbraune Boden war so ganz anders als die üppige tropische Vegetation seines Heimatlandes, und doch legten seine Brüder aus der Wüste ein Maß an Wachsamkeit, Eifer und Hingabe an den Tag, wie sie nicht alle seiner eigenen Kagama-Anhänger zeigten. Das Land mochte karg und unfruchtbar sein, dafür blühte es aber in der Rechtschaffenheit der Heiligen. Die Wüstenführer waren in ihre eigenen Feldzüge verwickelt, in Tschetschenien, in Kasachstan, in Algerien und auf den Philippinen. Aber ihnen war auch klar, dass jeder dieser Konflikte nicht mehr als ein Scharmützel in einer viel größeren Schlacht war. Und deshalb wusste der Kalif, dass sie ihm helfen würden, so wie er ihnen in der Vergangenheit geholfen hatte. Wenn Gott es so wollte, würden sie, indem sie zusammenarbeiteten, eines Tages die ganze Erde für Allah zurückgewinnen.
Zunächst musste er seinen Gastgebern Gelegenheit geben, ihn mit den Leistungen ihres Ausbildungslagers zu beeindrucken. Er hatte natürlich von dem Lager gehört. Jeder Mitkämpfer in der weltweiten Bruderschaft, zu der sie der Kampf gegen die Barbaren des Westens zusammengeschweißt hatte, wusste von dieser Universität des Terrors. Hier konnten die Mitglieder seiner geheimen Bruderschaft lernen, wie diese neue Art von Krieg geführt wurde, und die Regierung in Khartum verschloss ihre Augen davor. In den in das Felsgestein gehauenen Bunkern gab es Computer, in denen die Pläne von Kraftwerken, Petroleumraffinerien, Flughäfen, Eisenbahnen und Militäranlagen in Dutzenden von Ländern gespeichert waren. Jeden Tag suchten die Kämpfer Allahs das Internet nach den offen daliegenden Geheimnissen ab, die der Westen in seiner Sorglosigkeit allen ungehindert zur Verfügung stellte. Hier konnte man in einem Modell einer amerikanischen Stadt die Kriegführung in Ballungsräumen studieren, konnte lernen, wie man Straßen blockierte und Gebäude stürmte. Auch die Kunst der geduldigen Überwachung, Vorgehensweisen bei Meuchelmord und hundert Methoden konnte man hier lernen, wie man aus Materialien, die es in jedem amerikanischen Eisenwarenladen zu kaufen gab, Explosivstoffe herstellte. Während er von einer Einheit zur nächsten wanderte, lächelte er sein humorloses Lächeln. Sie behandelten ihn wie einen Würdenträger zu Besuch, so wie sie vermutlich den Präsidenten des Sudan bei seinen geheimen Besuchen behandelten. Sie wussten ebenso wie er, dass er dazu ausersehen war, sein Heimatland zu regieren. Das war alles nur eine Frage der Zeit.
Eigentlich war er müde. Aber zum Ausruhen war jetzt keine Zeit. Das Abendgebet war vorbei. Es war Zeit für die Zusammenkunft.
Sie saßen auf flachen Kissen in einem Zelt auf dem mit Tüchern bedeckten Boden und tranken aus einfachen Tontassen Tee. Die Unterhaltung war herzlich, scheute aber vor konkreten Dingen zurück. Alle wussten um die höchst bedrängte Situation, in der der Kalif sich befand -wussten um seine verblüffenden Eroberungen der letzten Zeit und auch, dass die KLF ständig von den Streitkräften der Republik Anura bedrängt wurde. Es hatte Rückschläge gegeben, demütigende Rückschläge. Und die würde es auch weiterhin geben - falls der KLF nicht zusätzliche Unterstützung zuteil wurde. Die wiederholten Versuche der Kagama, sich der Unterstützung des Vermittlers zu versichern, blieben erfolglos. Der Vermittler lehnte es nicht nur ab, die benötigte Unterstützung zu liefern, sondern verlangte immer hartnäckiger, der Kalif solle von seinen Rachebemühungen Abstand nehmen! Diese perfiden Ungläubigen! Und schließlich waren seine weiteren Versuche, den Kontakt mit dem Vermittler wieder herzustellen, ihm klar zu machen, dass der Kalif in seinem Wunsch nach Gerechtigkeit unerbittlich war, gescheitert, total und auf geheimnisvolle Weise gescheitert. Und deshalb war der Kagama-Führer hier.
Endlich hörten sie das Motorengeräusch eines Militärhubschraubers,
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