Der Janson-Befehl
Mannes zu sehr belasten, wenn er von den Beschattern erfuhr - ihn unsicher machen, ihn dazu veranlassen, in aller Eile in sein Büro zurückzukehren. Da war es besser, ihm eine Route vorzuschlagen, bei der er die Chance hatte, die Verfolger abzuschütteln, ob er das wollte oder nicht.
»Haben Sie einen Kugelschreiber?«, fragte Janson.
»Ich bin einer«, seufzte der Analytiker.
»Hören Sie mir gut zu, mein Freund. Ich möchte, dass Sie folgende Trambahnen nehmen.«
Janson gab ihm eine komplizierte Folge von Umsteigepunkten durch.
»Ziemlicher Umweg«, meinte Agger.
»Haben Sie Vertrauen zu mir«, sagte Janson. Einen professionellen Beobachter konnte man nicht etwa dadurch abhalten, dass man es ihm erschwerte, mit dem Zielobjekt mitzuhalten; was ihn abschrecken konnte, war eher die mit jedem Umsteigen wachsende Wahrscheinlichkeit, dass er von der Zielperson entdeckt wurde. In einer solchen Situation pflegten erfahrene Agenten lieber die Überwachung abzubrechen, als die Entdeckung zu riskieren.
»Geht in Ordnung«, sagte Agger mit der Stimme eines Menschen, dem völlig klar ist, dass er keine Ahnung davon hat, was mit ihm geschieht. »Selbstverständlich.«
»Und wenn Sie schließlich die Zahnradbahn nach Lyka-vittos verlassen haben, nehmen Sie den Fußweg zum Theater von Lykavittos. Wir treffen uns vor dem EliasBrunnen.«
»Da müssen Sie mir - ja, wie viel - eine Stunde geben?«
»Bis dann.«
Janson war bemüht, beruhigend zu klingen; Aggers Stimme klang nervös, sogar noch nervöser als üblich, und das war nicht gut. Das würde ihn auf unproduktive Weise vorsichtig machen, er würde zu sehr auf Zufälligkeiten achten und in seiner Wachsamkeit nicht zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden.
Janson ging an einem Cafe vorbei - einem freundlich wirkenden Lokal mit gelben Plastiksesseln, pfirsichfarbe-nen Tischtüchern und einer Terrasse aus Schieferplatten. In der Nähe war ein mit modernen Marmorplastiken ausstaffierter Park zu sehen. Zwei Teenager in weißen T-Shirts, die locker um ihre völlig unmuskulösen Oberkörper schlabberten und von der Brise hochgeweht wurden. Eine verwirrt wirkende Frau, die eine Tüte mit altem Pita-Brot in der Hand hielt, fütterte bereits überfütterte Tauben.
Janson bezog in einem dichten Gebüsch aus Aleppo-Fichten Station und musterte die übrigen Personen seiner Umgebung. An heißen Tagen suchten viele Athener hier Zuflucht vor der Hitze und dem beißenden nephos. Er sah ein japanisches Paar; der Mann hielt eine winzige Videokamera in der Hand, etwa so groß wie eine alte Instamatic, Zeugnis für die Genialität der Entwickler elektronischer Geräte für den Massenmarkt. Der Mann ließ seine Frau vor dem dramatischen Hintergrund posieren - ganz Athen lag ihr zu Füßen.
Während aus fünf Minuten zehn und schließlich fünfzehn wurden, kamen und gingen Menschen in scheinbar zufälliger Folge. Und doch war nicht alles Zufall. Dreißig Meter unter ihm und zu seiner Linken skizzierte ein Mann in einem kaftanähnlichen Hemd die Landschaft auf einem großen Block; seine Hand bewegte sich in weiten, bogenförmigen Schleifen über das Blatt. Janson richtete sein Glas auf ihn, stellte auf seine starken, kräftig wirkenden Hände scharf. Er hielt in einer Hand einen Kohlestift und füllte das Blatt mit ziel- und planlosen Strichen. Was immer sein Interesse gefunden hatte, es war jedenfalls nicht die Landschaft vor ihm. Janson betrachtete durch das Glas sein Gesicht und spürte einen Stich. Dieser Mann war anders als die Amerikaner, denen er zuvor begegnet war. Der muskulöse Nacken, der seinen Kragen zu sprengen drohte, die toten Augen - dieser Mann war ein professioneller Killer, ein Revolver, den man mieten konnte. Janson verspürte ein Prickeln an seiner Kopfhaut.
Schräg gegenüber las ein anderer Mann Zeitung. Er war wie ein Geschäftsmann gekleidet, trug eine Brille und einen hellgrauen Anzug. Janson stellte sein Glas scharf: Die Lippen des Mannes bewegten sich. Aber er las nicht etwa laut, denn er redete auch dann weiter, wenn seine Augen sich von der Zeitung abwandten. Er stand in Verbindung mit einem Partner - das Mikrofon steckte vermutlich in seiner Krawatte oder an seinem Revers -, sprach mit jemand, der einen Ohrhörer trug.
Noch jemand?
Die rothaarige Frau in dem grünen Baumwollkleid? Aber nein - zehn kleine Kinder folgten ihr. Eine Lehrerin, die die Kinder auf einen Ausflug führte. Ein Feldagent würde sich unter keinen Umständen dem Chaos und dem
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