Der Janson-Befehl
der einmaligen Lage befand, vollen Einblick in die Tragödie zu haben. Seinen Rettungsanker würde er im Trinity College finden: einen brillanten Don, wie sich die Universitätsprofessoren in Cambridge nannten, namens Angus Fielding.
Janson hatte Anfang der siebziger Jahre als MarshallStipendiat bei ihm studiert, und der sanftmütige Gelehrte mit dem stets amüsierten Gesichtsausdruck hatte ihm eine Anzahl Sondervorlesungen über Wirtschaftsgeschichte gehalten. Etwas an Fieldings geschmeidigem Verstand hatte Janson in seinen Bann gezogen, und auch der Gelehrte hatte an Janson höchst faszinierende Eigenschaften entdeckt. Nach so vielen Jahren war es Janson unangenehm, Fielding in seine gefährlichen Ermittlungen hineinzuziehen, aber er hatte keine andere Wahl. Sein alter akademischer Mentor, ein weithin geschätzter Experte in allen Fragen der globalen Finanzwelt, war Mitglied des Brain Trusts gewesen, den Peter Novak aufgebaut hatte, um ihm bei der Führung der Liberty Foundation zu helfen. Wie Janson gehört hatte, war er inzwischen Rektor des Trinity College geworden.
Während Janson über die Trinity Bridge und danach über die weite Rasenfläche der Backs schritt, drängten sich Bilder aus der Vergangenheit in sein Bewusstsein -Erinnerungen an eine andere Zeit, eine Zeit des Lernens, des Heilens und der Ruhe. Alles, was ihn hier umgab, beschwor in ihm Bilder jener goldenen Periode seines Lebens herauf. Die Rasenflächen, die gotischen Bauwerke, selbst die Punter, die ihre Boote mit langen Stangen unter den Steinbögen der Brücken und an den herunterhängenden Ästen der Trauerweiden entlang die Cam hinaufstakten. Als er sich Trinity näherte, tönten die Windglocken seiner Erinnerung sogar noch lauter. Hier, unmittelbar an den Backs, standen der Anfang des 17. Jahrhunderts erbaute Speisesaal und die grandiose, von Christopher Wren entworfene Bibliothek mit ihren mächtigen Gewölben und Bögen. Die körperliche Präsenz des Trinity College in Cambridge war groß und majestätisch, repräsentierte aber nur einen Teil seiner Bedeutung; immerhin war das College der zweitgrößte Landbesitzer im Vereinigten Königreich, an zweiter Stelle hinter den Ländereien der Königin selbst. Janson ging an der Bibliothek vorbei zu der kleinen Kiesfläche vor dem Haus des Rektors.
Er klingelte, und eine Frau in mittleren Jahren öffnete das Fenster neben der Tür einen Spalt. »Termin mit dem Rektor?«
»Richtig.«
»Ein wenig früh dran, nicht wahr? Aber macht nichts. Kommen Sie doch bitte vorne rum, dann lasse ich Sie rein.«
Sie hielt ihn ganz offenkundig für jemand anders, der mit dem Rektor um diese Stunde verabredet war.
Alles das deutete nicht gerade auf besondere Sicherheitsvorkehrungen hin. Die Frau hatte ihn nicht einmal nach dem Namen gefragt. Cambridge hatte sich seit seiner Studienzeit hier in den siebziger Jahren nicht sonderlich verändert.
Im Inneren des Hauses führte eine breite, mit rotem Teppich belegte Treppe vorbei an den Würdenträgern des Trinity aus vergangenen Jahrhunderten ins Obergeschoss: an der Wand ein bärtiger George Trevelyan, ein glatt rasierter William Whewell, ein Christopher Wordsworth mit Hermelinkragen. Oben an der Treppe, zur Linken, gab es einen mit rosa Teppichboden ausgelegten Salon mit vertäfelten Wänden, die weiß getüncht waren, um die Porträts, die sie schmückten, besser zur Geltung kommen zu lassen. Dahinter kam ein wesentlich größerer Saal mit einem dunklen, mit mehreren großen Orientteppichen belegten Dielenboden. Als Janson den Raum betrat, sah er sich einem Porträt von Queen Elizabeth I. in voller Lebensgröße gegenüber, das zu ihren Lebzeiten entstanden war und mit detaillierter Akkuratesse alle Einzelheiten ihres Gewandes wiedergab und dafür schmeichelhaft wenig von ihrem verwüsteten Gesicht. Isaac Newton an der Wand daneben blickte würdevoll unter einer braunen Allongeperücke hervor. Ein grinsender Vierzehnjähriger, ein gewisser Lord Gloucester, starrte die beiden selbstbewusst aus seinen Ölpigmenten an. Alles zusammengenommen war dies hier eine der eindrucksvollsten Sammlungen ihrer Art außerhalb der National Portrait Gallery. Eine Prunkdarstellung einer ganz besonderen Elite, politisch wie intellektuell, die das Land geformt und seine Geschichte gelenkt hatte und die Verantwortung für viele seiner Leistungen und manche seiner Niederlagen trug. Die Gesichter stammten überwiegend aus früheren Jahrhunderten, und doch wäre Peter Novaks
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