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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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gewesen, deshalb blieb ich einfach am Fenster stehen und verfolgte, wie der Tag anbrach. Das ging überraschend schnell. Die Sonne stieg aus dem Meer auf. Die Luft war frisch und klar. Ich konnte fünfzig Meilen weit sehen. Ich beobachtete eine Küstenseeschwalbe. Sie folgte der Brandungslinie und streifte fast die dort aufragenden Felsen. In der tief stehenden Sonne war ihr Schatten so groß wie der eines Geiers.
    Danach war nicht mehr viel zu sehen. In der Ferne kreisten einige Heringsmöwen. Ich hielt Ausschau nach Walen oder Delfinen, konnte jedoch keine entdecken. Um Viertel nach sechs hörte ich Dukes Schritte auf dem Korridor, dann klickte mein Schloss. Er kam nicht herein. Ich wandte mich vom Fenster ab und atmete tief durch. Der dreizehnte Tag, ein Donnerstag. Vielleicht besser als Freitag der Dreizehnte. Schwer zu beurteilen. Ich holte erneut tief Luft und machte mich auf den Weg die Treppe hinunter.
    Nichts war so wie am Morgen zuvor. Duke war ausgeschlafen und ich müde. Paulie ließ sich nicht blicken. Ich ging in den Fitnessraum hinunter und traf dort niemanden an. Duke blieb nicht zum Frühstück da. Er verschwand irgendwohin. Richard Beck kam herunter, um in der Küche zu frühstücken. Nur wir beide saßen am Tisch. Der Hausmeister tauchte auch nicht auf. Die Köchin hatte am Herd zu tun. Die Irin lief zwischen Küche und Esszimmer hin und her. Sie bewegte sich schneller als sonst. Aufregung lag in der Luft.
    »Eine große Ladung trifft ein«, klärte mich Richard Beck auf. »So ist’s dann immer. Alle sind aufgeregt wegen des Geldes, das sie verdienen werden.«
    »Wann geht’s wieder ins College zurück?«, fragte ich.
    »Sonntag«, antwortete er. Das schien ihm keine Sorgen zu machen, aber mir. Sonntag war in drei Tagen. Mein fünfter Tag in diesem Haus. Der endgültig letzte Termin. Was immer geschehen sollte, würde bis dahin passiert sein. Und der Junge würde sich die ganze Zeit im Kreuzfeuer befinden.
    »Macht Ihnen das keine Angst?«, fragte ich.
    »Ins College zurückzufahren?«
    Ich nickte. »Nach allem, was passiert ist.«
    »Wir wissen jetzt, wer’s war«, sagte er. »Ein paar Arschlöcher aus Connecticut. Das kommt nicht wieder vor.«
    »Wissen Sie das bestimmt?«
    Er starrte mich an, als sei ich nicht ganz richtig im Kopf. »Mein Dad weiß, was in solchen Fällen zu tun ist. Und ist die Sache bis Sonntag nicht geregelt, bleibe ich einfach hier, bis sie’s ist.«
    »Leitet Ihr Dad das ganze Unternehmen selbst? Oder hat er einen Partner?«
    »Er führt es allein«, erwiderte er. Seine Ambivalenz war verschwunden. Er schien es zu genießen, zu Hause zu sein, fühlte sich hier sicher und gut, war auf seinen Vater stolz.
    »Ich glaube nicht, dass Sie diesen Cop wirklich erschossen haben«, sagte er.
    Ich starrte ihn an.
    »Sie haben ihn wahrscheinlich nur angeschossen«, fuhr er fort. »Das hoffe ich zumindest. Vielleicht erholt er sich gerade. In irgendeinem Krankenhaus. Das glaube ich. Und Sie sollten’s auch. Denken Sie positiv. Das ist immer besser. So sieht die Welt ganz anders aus.«
    »Ich weiß nicht recht«, entgegnete ich.
    »Tun Sie einfach so«, drängte er. »Nutzen Sie die Kraft positiver Gedanken. Sagen Sie sich: Ich habe etwas Gutes getan, und es hat keine schlimmen Folgen gehabt.«
    »Ihr Dad hat bei der Polizei angerufen«, erklärte ich. »Ich glaube nicht, dass es irgendwelche Zweifel gibt.«
    »Tun Sie einfach so«, wiederholte er. »Das mache ich auch. Schlimme Dinge sind nicht passiert, außer man erinnert sich bewusst an sie.«
    Richard hatte zu essen aufgehört, und seine linke Hand berührte die linke Kopfseite. Er lächelte fröhlich, aber sein Unterbewusstsein erinnerte sich gerade an einige schlimme Dinge. Das war offensichtlich.
    »Okay«, sagte ich. »Es war nur eine Fleischwunde.«
    »Rein und raus«, sagte er. »Ein glatter Durchschuss.«
    Ich sagte nichts.
    »Hat alles haarscharf verfehlt«, sagte er. »Ein richtiges Wunder.«
    Ich nickte. Es wäre tatsächlich ein Wunder gewesen. Trifft ein Bleimantelgeschoss Kaliber 44 Magnum jemandes Brust, reißt es ein riesiges Loch hinein. Das Herz hört augenblicklich auf zu schlagen, weil es nämlich nicht mehr da ist. Ich vermutete, dass der Junge noch keinen Erschossenen gesehen hatte. Und wenn doch, hat’s ihm vielleicht nicht gefallen.
    »Positives Denken«, bemerkte Richard. »Das ist der Schlüssel.«
    »Woraus besteht die Lieferung?«, fragte ich.
    »Wahrscheinlich aus Fälschungen«, antwortete er.

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