Der Janusmann
Sergeant mit einem Hauptmann ein Bier trank, war damals in der Kaserne unmöglich, weil die Klubs strikt getrennt waren. Deshalb gingen wir in eine Bar in der Stadt. Sie entsprach dem üblichen Standard: lang und niedrig, acht Billardtische, viele Leute, viel Neonlicht, viel Musikboxlärm, viel Rauch. Es war noch immer sehr heiß. Die Klimaanlage arbeitete auf Hochtouren, doch ohne viel Erfolg. Weil ich kaum Zivilkleidung besaß, trug ich eine Arbeitsanzughose und ein altes T-Shirt. Kohl erschien in einem schlichten ärmellosen Kleid, knielang, schwarz mit sehr kleinen weißen Punkten. Ein sehr dezentes Muster.
»Wie bewährt Frasconi sich?«, erkundigte ich mich.
»Tony?«, sagte sie. »Er ist ein netter Kerl.«
Wir bestellten Rocking Rolls, was mir recht war, weil dieses Getränk in jenem Sommer mein Lieblingsdrink war. Um mit mir reden zu können, musste sie wegen des Lärms dicht an mich heranrücken. Ich genoss ihre Nähe. Aber ich machte mir nichts vor. Dass sie mir so nah kam, lag am Schallpegel, an nichts anderem. Und ich hatte nicht vor, mich an sie ranzumachen, obwohl das nicht verboten gewesen wäre. Schon damals gab es gewisse Regeln, aber noch keine festen Vorschriften. Der Tatbestand »sexuelle Belästigung« wurde der Army erst allmählich ein Begriff. Aber mir war die potenzielle Ungerechtigkeit bewusst, auch wenn ich ihrer Karriere weder nutzen noch schaden konnte. Ihre Personalakte zeigte, dass sie so sicher Master Sergeant und dann First Sergeant werden würde, wie die Nacht auf den Tag folgt. Das war nur eine Frage der Zeit. Dann kam der Sprung zum E-9-Status – die Beförderung zum Sergeant Major. Auch diesen Dienstgrad würde sie bestimmt erreichen. Danach konnten Probleme auftauchen. Nach dem Sergeant Major folgt der Command Sergeant Major, von dem es in jedem Regiment nur einen gibt. Und danach kommt der Sergeant Major of the Army, von dem überhaupt nur einer existiert. Also würde sie unabhängig von allem, was ich sagte oder tat, bis zu einem bestimmten Dienstgrad befördert werden.
»Wir haben ein taktisches Problem«, sagte sie. »Vielleicht auch ein strategisches.«
»Wieso?«
»Der Eierkopf, Gorowski? Wir glauben nicht, dass er in dem Sinn erpresst wird, dass er ein schreckliches Geheimnis oder sonst was zu verbergen hat. Es scheint sich eher um offene Drohungen gegen seine Familie zu handeln. Also nicht Erpressung, sondern Androhung von Gewalt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Seine Akte ist blitzsauber. Sein Hintergrund wurde schon x-mal genau überprüft. Deshalb haben sie sich ihn als Opfer ausgesucht. Sie wollen keinen Erpressungsverdacht aufkommen lassen.«
»War er ein Red-Sox-Fan?«
Sie schüttelte den Kopf. »Yankees. Er stammt aus der Bronx. Ist dort auf die Highschool of Science gegangen.«
»Okay«, sagte ich. »Ist mir schon sympathisch.«
»Aber laut Vorschrift müssten wir ihn jetzt verhaften.«
»Was macht er?«
»Wir haben beobachtet, wie er Unterlagen aus dem Labor mitnimmt.«
»Sind sie weiter mit der Konstruktion des Führungsrings beschäftigt?«
Sie nickte. »Aber sie könnten die Blaupausen in der Stars and Stripes veröffentlichen, ohne damit Geheimnisse zu verraten. Also ist die Lage noch nicht kritisch.«
»Was macht er mit den Unterlagen?«
»Er wirft sie in Baltimore in einen toten Briefkasten.«
»Haben Sie beobachtet, wer sie dort abholt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Da läuft nichts«, sagte sie.
»Was halten Sie von dem Eierkopf?«
»Ich will ihn nicht verhaften. Ich denke, wir sollten ihm diese Last abnehmen und ihn dann in Ruhe lassen. Er hat zwei kleine Mädchen.«
»Wie denkt Frasconi darüber?«
»Er ist meiner Meinung.«
»Tatsächlich?«
Sie lächelte.
»Nun, er wird sich ihr anschließen«, antwortete sie. »Aber die Vorschriften verlangen etwas anderes.«
»Vergessen Sie die Vorschriften«, sagte ich.
»Soll ich das wirklich?«
»Direkter Befehl von mir«, entgegnete ich. »Folgen Sie Ihrem Instinkt. Versuchen Sie rauszukriegen, wer ihm Gewalt androht. Wenn’s irgendwie geht, halten wir diesen Gorowski aus allem raus. Das ist meine bei Yankee-Fans übliche Methode. Aber achten Sie darauf, dass die Sache Ihnen nicht über den Kopf wächst.«
»Keine Sorge«, meinte sie.
»Schließen Sie den Fall ab, bevor sie mit dem Führungsring fertig sind«, sagte ich. »Sonst müssen wir uns was anderes überlegen.«
»Okay.«
Dann redeten wir über andere Dinge, tranken noch ein paar Biere. Nach ungefähr einer Stunde kam
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