Der Judas-Code: Roman
diesen Schleim in allen Weltmeeren. Und jetzt ist er wieder auf dem Vormarsch. Deshalb hat man mich gerufen. Mit diesen Organismen kenne ich mich aus. Ein ähnliches Phänomen, das als Fireweed bezeichnet wird, habe ich am Great Barrier Reef studiert. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Algen und Cyanobakterien. In der Zeit, die Sie für ein Mittagessen brauchen, breiten sie sich auf einer Fläche von der Größe eines Fußballfeldes aus. Das Fireweed setzt zehn verschiedene Biotoxine frei, die bei Hautkontakt zur Blasenbildung führen. In getrocknetem Zustand verteilt es sich in der Luft und wirkt ähnlich wie Pfefferspray.«
Monk stellte sich die Verwüstungen in The Settlement vor, der größten Siedlung der Insel. Sie lag nicht weit von hier im Einzugsbereich der Passatwinde. »Wollen Sie damit sagen, hier wäre das Gleiche passiert?«
»Oder etwas Ähnliches. Fireweed und andere Cyanobakterien blühen überall in unseren Meeren. Von den norwegischen Fjorden bis zum Great Barrier Reef. Fische, Korallen und Meeressäugetiere sterben, während der Schleim und die giftigen Quallen gedeihen. Man könnte fast meinen, die Evolution laufe rückwärts ab und das Meer gleiche sich wieder seinem ursprünglichen Zustand an. Dabei sind wir selber daran schuld. Ins Meer geschwemmte
Düngemittel, Industriechemikalien und Abwässer haben Flussdeltas und Meeresbuchten vergiftet. Durch Überfischung hat der Bestand an großen Fischen in den vergangenen fünfzig Jahren um neunzig Prozent abgenommen. Und aufgrund des Klimawandels erwärmen sich die Gewässer, übersäuern und nehmen immer weniger Sauerstoff auf, was zur Folge hat, dass das Meeresleben erstickt. Wenn wir so weitermachen, werden die Meere irgendwann irreparabel geschädigt sein.«
Kopfschüttelnd musterte er den mit Kadavern übersäten Strand. »Das führt dazu, dass das Meer wieder so wird wie vor hundert Millionen Jahren, als es darin von Bakterien, toxischen Algen und giftigen Quallen nur so wimmelte. Solche Todeszonen findet man auf der ganzen Welt.«
»Aber was hat das Massensterben verursacht?«
Diese Frage hatte sie alle hierhergeführt.
Graff schüttelte den Kopf. »Ein bislang unbekannter Schleim. Der wurde bisher noch nie beobachtet, und das macht mir Angst. Bio- und Neurotoxine marinen Ursprungs gehören zu den stärksten bekannten Giften. Bislang ist es noch nicht einmal gelungen, sie künstlich herzustellen. Wussten Sie, dass das Saxitoxin, das in den Bakterien bestimmter Krustentiere vorkommt, von den Vereinten Nationen als Massenvernichtungsmittel eingestuft wurde?«
Monk blickte grimmig aufs Meer hinaus. »Mutter Natur kann bisweilen ganz schön tückisch sein.«
»Mann, die ist der größte Terrorist überhaupt. Mit der sollte man sich besser nicht anlegen.«
Monk erhob keine Einwände.
Jetzt, da die Nachhilfestunde in Biologie beendet war, bückte er sich und half, die Probengerätschaften zu ordnen. Mit den Plastikhandschuhen des Schutzanzugs bereitete ihm das einige Mühe. Zusätzlich behindert wurde er durch den Umstand, dass er in der linken Hand kein Gefühl hatte. Nachdem er beim letzten Einsatz verwundet worden war, trug er eine fünffingrige Prothese allerneuester Bauart, die mit modernster DARPA-Bioelektronik vollgestopft war. Dennoch war sie kein vollkommener Ersatz. Als ihm eine Spritze in den Sand fiel, fluchte er.
»Nehmen Sie sich in Acht«, meinte Graff. »Es wäre nicht gut, wenn Sie den Schutzanzug beschädigen würden. Die Giftwerte gehen zwar zurück, aber wir sollten trotzdem vorsichtig sein.«
Monk seufzte. Er freute sich schon darauf, wieder aus diesem Affenkostüm rauszukommen und sich in sein Labor zurückziehen zu können. Während des Herflugs hatte er seine Beziehungen spielen lassen und veranlasst, dass mit dem Hubschrauber ein komplettes Forensiklabor auf das Kreuzfahrtschiff gebracht wurde. Dort wäre er jetzt lieber gewesen.
Zunächst aber mussten sie sich Laborproben beschaffen. Und zwar viele. Blut, Gewebe und Knochen. Von Fischen, Haien, Tintenfischen, Delfinen.
»Eigenartig«, brummte Graff. Er richtete sich auf und blickte sich suchend um.
»Was gibt’s?«, fragte Monk.
»Eines der häufigsten Tiere der Insel ist Geocarcoidea natalis.«
»Könnten Sie mir das übersetzen?«
»Ich meine die Rote Landkrabbe der Weihnachtsinsel.«
Monk musterte den Strand. Er hatte sich bereits über die Flora und Fauna der Insel schlaugemacht. Die terrestrische Landkrabbe war der Star der Insel und wurde
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