Der Judas-Code: Roman
Untersuchungsgeräten ganz zu schweigen. Ihm war aufgefallen, dass der Steuermann des Schlauchboots das Feuer nicht erwidert hatte. Der Australier war offenbar überrascht worden. Außerdem befand sich ihr einziges Funkgerät an Bord. Jetzt waren sie auf sich allein gestellt.
Monk dachte an Lisa, die an Bord des Kreuzfahrtschiffs zurückgeblieben war. Der Kutter der australischen Küstenwache patrouillierte vor dem kleinen Hafen. Lisa war somit nicht in Gefahr.
Von ihm und Graff konnte man das nicht behaupten.
Die Klippen boten keinen Schutz. Zu beiden Seiten erstreckte sich der leere Strand.
Monk zerrte Graff hinter einen herabgestürzten Felsen, die einzige Deckung weit und breit.
Das Speedboot hielt auf sie zu. Es knallte. Die Einschüsse im Sand näherten sich pfeilförmig ihrem Versteck.
Monk zog seinen Begleiter auf den Boden nieder.
Mit dem erholsamen Tag am Strand war es endgültig Essig.
11:42
Dr. Lisa Cummings verteilte die schmerzstillende Salbe auf dem Rücken des weinenden Mädchens. Seine Mutter hielt ihr die Hand. Die Frau war Malaiin und redete flüsternd auf ihre Tochter ein, die mandelförmigen Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Die Kombination von Lidocain und Prilocain linderte die durch die Verbrennungen hervorgerufenen Schmerzen und milderte die Schreie des Mädchens zu einem Schluchzen.
»Sie wird wieder gesund«, sagte Lisa, die wusste, dass die Mutter als Serviererin in einem Hotel arbeitete und Englisch sprach. »Achten Sie darauf, dass sie die Antibiotika dreimal täglich einnimmt.«
Die Frau neigte den Kopf. »Terima kasih . Danke.«
Lisa übergab sie an eine Gruppe von Männern und Frauen in blau-weißen Uniformen, Besatzungsmitglieder der Mistress of the Seas.
»Man wird Ihnen und Ihrer Tochter eine Kabine zuweisen.« Die Frau nickte, doch Lisa hatte sich bereits wieder abgewandt. Ruckartig zog sie die Handschuhe ab. Der Speisesaal auf dem Lido-Deck der Mistress of the Seas war zum Dreh- und Angelpunkt geworden. Hier wurden die Evakuierten der Insel untersucht und in zwei Gruppen eingeteilt: die mit kritischen und die mit unkritischen Verletzungen. Lisa, die über die geringste Erfahrung in Katastrophenmedizin verfügte, war zur Ersten Hilfe eingeteilt worden. Ihr assistierte ein Krankenpflegerschüler aus Sydney, ein hagerer junger Mann indischer Abstammung mit Namen Jesspal, ein Freiwilliger der WHO-Einsatzgruppe.
Sie waren ein eigenartiges Paar: Lisa blond und hellhäutig, Jesspal dunkelhaarig und mit kaffeebrauner Haut. Die Zusammenarbeit aber klappte hervorragend.
»Jessie, wie viel Cephalexin haben wir noch?«
»Es sollte reichen, Dr. Lisa.« Mit der einen Hand schüttelte er eine große Flasche mit Antibiotikum, mit der anderen füllte er Formulare aus. Der junge Mann war eben vielseitig.
Lisa zog den Bund der grünen Hose etwas höher und blickte sich um. Im Moment wartete niemand auf seine Erstversorgung. Im Speisesaal herrschte geordnetes Chaos. Hin und wieder weinte jemand oder schrie, doch im Moment war die Krankenstation eine Insel der Ruhe.
»Ich glaube, die meisten Inselbewohner wurden inzwischen evakuiert«, sagte Jessie. »Ich habe gehört, die letzten beiden Tender wären nur zur Hälfte besetzt gewesen. Jetzt kommen nur noch ein paar Nachzügler aus den abgelegenen Dörfern herein.«
»Gott sei Dank.«
Im Laufe des schier endlosen Vormittags hatten sie mehr als einhundertfünfzig Patienten versorgt und Verbrennungen, Ausschläge, Durchfall, Bewusstlosigkeit und den verstauchten Knöchel einer Person behandelt, die im Hafen gestürzt war. Das aber war nur ein Bruchteil der Betroffenen gewesen. Das Kreuzfahrtschiff war in der Nacht vor der Insel eingetroffen, und als man Lisa bei Tagesanbruch mit dem Hubschrauber eingeflogen hatte, war die Evakuierung bereits im Gange gewesen. Auf der kleinen, abgelegenen Insel lebten etwa zweitausend Personen. Trotz der räumlichen Enge sollte das Schiff die ganze Bevölkerung aufnehmen können, zumal die Zahl der Toten inzwischen tragischerweise auf über vierhundert gestiegen war - und sie stieg noch immer.
Lisa schlang die Arme um den Oberkörper; lieber wäre es ihr gewesen, Painter hätte sie von hinten umarmt und seine stoppelige Wange an ihrem Hals gerieben. Erschöpft schloss sie die Augen. Obwohl er nicht hier war, borgte sie sich von ihm Kraft.
Heute Morgen, als sie Fall um Fall abgearbeitet hatte, war es ihr leicht gefallen, professionelle Distanz zu wahren.
Jetzt aber, da sie einen Moment Ruhe
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