Der jüdische Krieg.
Aufgabe erfüllt.
Die Soldaten also machten lange Gesichter, viel Unmut wurde laut. Aber Vespasian haue seine Truppen gut diszipliniert, und als man jetzt von ihnen verlangte, sie sollten den Friedensschluß mit großer Zeremonie begrüßen, brachten sie sogar das freudige Gesicht auf, das das Militärreglement für solche Gelegenheiten vorschrieb. Die Armee defilierte also vor dem kleinen Doktor aus Jerusalem. Die Feldzeichen und Standarten zogen an ihm vorbei. Die römischen Legionen grüßten ihn, den Arm mit der flachen Hand ausgestreckt.
Hatte Josef nicht schon einmal Ähnliches gesehen? So sah er einmal einen östlichen König geehrt in der Stadt Rom vor dem Antlitz des Kaisers Nero, sein Säbel aber war festgenagelt in der Scheide. Jetzt ehrte die römische Armee die jüdische Gottesweisheit, doch erst nachdem sie das Schwert Judäas zer brochen hatte. Josef sah das Schauspiel von einem Winkel des großen Platzes aus, ganz hinten, unter kleinen Leuten und Leibeigenen, man stieß ihn, drängte ihn, schrie. Er starrte gerade vor sich hin, regte sich nicht.
Der kleine Uralte aber stand auf der Tribüne; später, da er sichtlich ermüdete, brachte man ihm einen Sessel. Immer wieder führte er die Hand an die Stirn, dankte, grüßte. Wiegte ab und zu den welken Kopf, ganz leise lächelnd.
Die Armee, die Zeremonie vollendet, wütete. Mucian und Agrippa waren sicher, der Marschall habe mit Absicht die Empörung der Truppe gesteigert. Sie bestürmten ihn, die Frucht sei überreif, er solle endlich sich als Herrn proklamieren. Als er sich aber auch diesmal naiv und bedächtig gab wie stets, schickten sie Josef Ben Matthias vor.
Es war eine kühle, angenehme Nacht mit frischem Wind vom Meer her, aber Josef war voll von einer heißen, zitternden Erregung. Es war an dem: sein Römer wird der Kaiser sein, und er hat ein Großteil dazu getan, das zu bewirken. Er zweifelte nicht, daß es ihm gelingen werde, den Zögernden zum Entschluß zu bringen. Natürlich war dieses Zögern nichts andres als klügliches Getändel. Wie wohl Wettläufer zehn Tage vor dem Spiel Schuhe aus Blei tragen, um den Fuß zu trainieren, so mochte sich der Anwärter auf den Thron mit Ausflucht und gespielter Weigerung den Lauf erschwert haben, damit er schließlich das Ziel um so schneller erreiche. Josef also breitete Ergebenheit, Zuversicht, Wissen um das Schicksal mit solcher Dringlichkeit vor Vespasian aus, daß der gar nicht anders konnte, als sich vor Gott und seinem Schicksal neigen und ja sagen.
Aber Vespasian konnte doch anders. Dieser Mann war wirklich hochmütig und starr wie ein Felsblock. Keinen kleinsten Schritt wollte er von allein tun; bis zum letzten wollte er sich stoßen und schieben lassen. »Sie sind ein Narr, mein Jüdlein«, sagte er. »Eure östlichen Duodezkönige mögen sich ihre Kronen aus Blut und Dreck zusammenleimen; für mich ist das nichts. Ich bin ein römischer Bauer, ich denke nicht daran. Bei uns machen Armee, Senat und Volk den Kaiser, nicht Willkür. Der Kaiser Vitell hat die gesetzliche Bestätigung. Ich bin kein Rebell. Ich bin für Gesetz und Ordnung.« Josef preßte die Zähne aufeinander. Er hatte mit seiner ganzen Intensität gesprochen, sein Wort war an dem hartnäckigen Mann abgeprallt. Der wollte wirklich das Unmögliche, der wollte das Gesetzliche und das Ungesetzliche zugleich. Es war sinnlos, weiter auf ihn einzureden, es blieb nichts übrig als Verzicht.
Josef konnte sich nicht entschließen zu gehen, und Vespasian schickte ihn nicht weg. Fünf lange Minuten saßen die beiden Männer stumm in der Nacht. Josef ausgehöhlt und resigniert, Vespasian sicher, gleichmäßig atmend.
Plötzlich nahm der Marschall das Gespräch wieder auf, leise, doch jedes Wort wägend: »Sie können Ihrem Freunde Mucian sagen, daß ich mich nicht fügen werde, daß ich nur dem äußersten Zwang weichen würde.« Josef sah hoch, sah ihn an, atmete groß auf. Versicherte sich nochmals: »Aber dem Zwang würden Sie weichen?« Vespasian achselzuckte: »Totschlagen natürlich ließ ich mich ungern. Sechzig Jahre sind für einen robusten Bauern wie mich kein Alter.«
Josef verabschiedete sich so rasch wie möglich. Vespasian wußte: der Jude wird sofort zu Mucian gehen, er selber wird morgen, leider, erfreulicherweise gezwungen werden, Kaiser zu sein. Er war ein nüchterner Herr, er hatte es Cänis und sich streng verwehrt, dieses Ziel zu schmecken, solange es nicht erreicht war. Jetzt
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