Der jüdische Krieg.
Gedränges, stand so nahe an ihr, daß er sie fast berührte. Er sprach leise, als sollten es die andern nicht hören, vertraulich. Er wurde ernsthaft. »Ihr Vater mag ein großer Mann sein, Dorion«, sagte er, »aber wir Juden hassen seine Kunst. Das ist kein Vorurteil, wir haben gute Gründe.« Sie schaute ihn spöttisch an aus ihren meerfarbenen Augen und sagte ebenso leise und vertraulich: »Sie sollten nicht so feig sein, Doktor Josef. Denn es ist nur, weil ihr feig seid. Ihr wißt sehr gut, daß es kein besseres Mittel gibt, den Dingen auf den Grund zu kommen, als die Kunst. Ihr wagt es nicht, euch der Kunst zu stellen, das ist alles.« Josef lächelte mitleidig aus der Höhe seiner Überzeugung. »Wir sind vorgedrungen bis zum Unsichtbaren hinter dem Sichtbaren. Nur deshalb glauben wir nicht mehr an das Sichtbare, weil es zu billig ist.« Aber das Mädchen Dorion, aus der Tiefe ihres Gemütes heraus, und ihre Stimme wurde vor Eifer ganz schrill, redete auf ihn ein. »Die Kunst ist das Sichtbare und Unsichtbare zugleich. Die Wirklichkeit stümpert der Kunst nach, sie ist nur eine unfertige, fehlerhafte Nachahmung der Kunst. Glauben Sie mir, der große Künstler schreibt der Wirklichkeit ihre Gesetze vor. Mehrmals hat mein Vater das getan, willentlich oder nicht.« Ihr großer Kinderkopf kam ihm ganz nahe, sie sprach ihm fast ins Ohr vor Geheimnis. »Erinnern Sie sich, wie die Senatorin Drusilla starb? An einem Stich durch die linke Schulter ins Herz. Niemand weiß, wer den Stich geführt hat. Ein Jahr zuvor hatte mein Vater ihr Bild gemalt. Er hatte ihr einen Fleck auf die entblößte Schulter gemalt, eine Art Narbe; es war ein technischer Grund, er mußte den Fleck haben. Es war diese Stelle der Schulter, durch die der Stich ging.« Sie standen in dem hellen, hohen Raum, rings um sie waren gut angezogene, schwatzende Damen und Herren, es war ein nüchterner Dienstag, aber um die beiden jungen Menschen war Schleier und Geheimnis. Lächelnd glitt Dorion aus diesem Dämmerigen heraus. »Eigentlich«, meinte sie in verbindlichem, konventionellem Ton, »müßten solche Dinge den Propheten Josef mit dem Maler Fabull verbinden.«
Josef, gerade weil ihn die Argumente des Mädchens angerührt hatten, behauptete hartnäckig die Überlegenheit des Wortes über das Bild. Die Überlegenheit des gottgedrängten jüdischen Wortes vor allem. Das Mädchen Dorion krümmte die Lippen, lächelte, lachte laut heraus, ein hohes, schepperndes, bösartiges Lachen. Was sie von hebräischen Büchern kenne, erklärte sie, damit könne sie wenig anfangen; es sei voll von törichtem Aberglauben. Sie habe sich aus seinem Makkabäerbuch vorlesen lassen. Sie bedaure, es seien leere, tönende Worte. Wenn der Mann Josef so leer wäre wie das Buch, läge ihr nichts daran, daß ein Porträt von ihm zustande käme. Josef selber hatte in letzter Zeit das Makkabäerbuch nach Kräften verleugnet. Jetzt fand er ihr Urteil dreist und albern, es verdroß ihn. Er schlug zurück und erkundigte sich freundlich nach ihren Göttern, gewissen Tiergöttern, ob sie auch eifrig Teller leckten und Milch stählen. Sie erwiderte heftig, geradezu grob; das Gespräch der beiden war wahrscheinlich das unhöflichste, das in der weiten Halle geführt wurde.
Da der Prinz Titus bei Fabull ein Bild der Berenike bestellt hatte, kam das Mädchen Dorion in den festfreudigen Kreis der Villa in Canopus. Nun war sie beinahe täglich mit Josef zusammen. Er sah, wie die andern sie behandelten, sehr höflich, sehr galant und im Grunde verächtlich, wie eben alexandrinische Herren hübsche Frauen zu behandeln pflegten. In andern Fällen machte er es ebenso; bei ihr wollte es ihm nicht glücken. Das reizte ihn. Er warf sich besinnungslos in seine Leidenschaft. Scharf, in Gegenwart anderer, verspottete er sie, um sie dann ebenso maßlos vor andern anzubeten. Mit der Sicherheit eines klugen Kindes durchschaute sie ihn, seine Sucht zu glänzen, seine Eitelkeit, seine Würdelosigkeit. Sie hatte gelernt, was Würde ist. Sie sah, wie es an ihrem Vater fraß, daß die Aristokratie ihn nicht gelten ließ, sie sah, wie die Römer auf die Ägypter herabschauten. Ihre ägyptische Mutter, ihre Bonne hatten ihr beigebracht, aus wie uraltem, heiligem Blut sie sei, ihre Väter schliefen unter spitzen, hohen, dreieckigen Bergen. Und waren die Juden nicht die verächtlichsten der Menschen, lächerlich wie Affen, nicht viel besser als unreine Tiere? Nun konnte sie gerade von diesem Juden nicht
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