Der jüdische Krieg.
ist plötzlich ganz ausgefüllt von einer Ungeheuern Begier nach Judäa. Er hat eine irrsinnige Sehnsucht, dabeizusein, seine Augen und sein Herz ganz damit auszufüllen, wie die weiß und goldene Pracht des Tempels dem Erdboden gleichgemacht wird, wie die Priester geschleift werden an ihren Haaren, und die blaue Heiligkeit ihrer herrlichen Gewänder wird ihnen abgerissen, und die goldene Traube über dem Tor in das Innere zerschmilzt und tröpfelt in einen Sumpf von Blut und Glitsch und Kot. Und sein ganzes Volk zusammen mit seinem Tempel sackt hin in Rauch und wüster Metzelei, ein Brandopfer für den Herrn.
In seine gehetzten Gesichte hinein hört er die knarrende Stimme des Kaisers. »Ich warte auf Ihre Entscheidung, Flavius Josephus.«
Josef führt die Hand an die Stirn, verneigt sich tief, auf jüdische Art. Erwidert: »Wenn der Kaiser es erlaubt, will ich mit eigenen Augen die Vollendung der Aktion ansehen, die der Kaiser begonnen hat.«
Der Kaiser lächelt dünn, resigniert und böse; er sieht mit einemmal sehr alt aus. Er hängt an seinem Juden, er hat dem Juden manches Gute getan. Jetzt hat sich der Jude für seinen Sohn entschieden. Je nun, sein Sohn Titus ist jung, und er hat noch zehn Jahre zu leben, oder vielleicht auch nur fünf, und wenn es hoch kommt, fünfzehn.
Dorion lebte still für sich in der kleinen Villa in Canopus, die Titus ihnen überlassen hatte. Es war ein herrlicher Winter, sie genoß mit Haut und Herz die Frische der Luft. Der Gott Immutfru vertrug sich mit ihrem Sperber, und der Hauspfau stelzte majestätisch durch die kleinen Räume. Dorion war glücklich. Früher hatte sie viele Menschen um sich sehen müssen; der Ehrgeiz ihres Vaters hatte auch sie gepackt, sie hatte glänzen müssen, schwatzen, bewundert werden. Jetzt wurde ihr schon die seltene Gesellschaft des Titus zur Last, und ihr ganzer Ehrgeiz hieß Josef.
Wie schön war er. Wie heiß und lebendig waren seine Augen, wie zart und kräftig seine Hände, wie wild und süß sein Atem, und er war der klügste der Menschen. Sie erzählte von ihm ihren Tieren. Mit ihrer dünnen Stimme, die nicht viel schöner war als die Stimme ihres Pfaus, sang sie ihnen die alten Liebeslieder vor, die sie von ihrer Bonne gelernt hatte. »O streichle meine Schenkel, mein Geliebter! Die Liebe zu dir füllt jeden Zoll meines Leibes an, wie Salböl sich mit der Haut vermengt.« Sie bat Josef immer von neuem, ihr die Strophen des Hohenlieds herzusagen, und wenn sie sie auswendig kannte, dann mußte er ihr die hebräischen Urworte sagen, und sie plapperte sie nach, glücklich, mit ungelenker Zunge. Die Tage, so kurz sie waren, waren ihr zu lang, und die Nächte, so lang sie waren, waren ihr zu kurz.
Es wird schwer sein, überlegte Josef, es ihr beizubringen, daß ich nach Hause gehe und sie hier zurücklasse. Es wird ein sehr böser Schnitt sein auch für mich, aber ich will diesen Schnitt gleich machen und nicht zögern.
Als er es ihr sagte, begriff sie zuerst nicht. Als sie begriff, erblaßte sie, ganz langsam, wie das ihre Art war, erst um den Mund herum, und dann stieg die Blässe in die Wangen und über die Stirn. Dann fiel sie vornüber, leicht, merkwürdig langsam und lautlos.
Als sie wieder zu sich kam, saß er bei ihr und redete behutsam auf sie ein. Sie schaute ihn an, ihre meerfarbenen Augen waren wirr und verwildert. Dann warf sie auf häßliche Art die Lippen hoch und gab ihm alle Schimpfworte, die sie kannte, die wüstesten, ägyptische, griechische, lateinische, aramäische. Sohn eines stinkenden Leibeigenen war er und einer aussätzigen Hure. Aus allem Aas der Welt war er gemacht, die acht Winde hatten den Auswurf der Erde zusammengeweht, damit er daraus wachse. Josef sah sie an. Sie war häßlich, wie sie so dahockte, verwüstet, und mit ihrer scheppernden Stimme gegen ihn loskeifte. Aber er verstand das gut, er war voll Mitleid mit sich und mit ihr, und er liebte sie sehr. Dann plötzlich schlug sie um, sie liebkoste ihn, ihr Gesicht war locker, weich und hilflos. Leise gab sie ihm alle kleinen Worte der Lust zurück, die er ihr gegeben hatte, bittend, schmeichelnd, voll Hingabe und Verzweiflung.
Josef sagte nichts. Mit sehr leichter Hand streichelte er sie, die schlaff an ihm lag. Dann, vorsichtig, von weit her, suchte er sich ihr klarzumachen. Nein, er wollte sie nicht verlieren. Es war hart, was er von ihr verlangte, daß sie, eine so Lebendige, dasitze und warte, aber er liebte sie und
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