Der jüdische Krieg.
dauernder Streit zwischen Rom und Jerusalem gewesen, ehe ihn der Tempelschatz endgültig verwahren durfte, und es war viel Blut in diesem Streit vergossen worden.
Im Herzen des Tempelhauses, wiederum durch einen Purpurvorhang abgeschlossen, war das Allerheiligste. Es war leer und dunkel, nur ein roher Stein ragte aus dem nackten Boden, das Felsstück Schetijah. Hier, behaupteten die Juden, wohnte Jahve. Niemand durfte den Raum betreten. Nur einmal im Jahr, am Tage, da Jahve sich mit seinem Volke aussöhnte, ging der Erzpriester in dieses Allerheiligste. Alle Juden des Erdkreises fasteten an diesem Tag, die Hallen und Höfe des Tempels waren gestopft mit Menschen. Sie warteten darauf, daß der Erzpriester Jahve bei seinem Namen anrufe. Denn Jahves Name durfte nicht genannt werden, schon der Versuch war todeswürdig. Nur an diesem einen Tag rief der Erzpriester den Gott bei seinem Namen. Nicht viele konnten den Namen hören, wenn er aus dem Munde des Priesters kam, aber alle glaubten ihn zu hören, und hunderttausend Knie krachten auf die Fliesen des Tempels.
Es war Geheimnis und Gerede in der Welt, was wohl hinter dem Vorhang des Allerheiligsten verehrt werde. Die Juden erklärten, Jahve sei unsichtbar, also sei auch kein Bild von ihm da. Aber die Welt wollte nicht glauben, daß der Raum einfach leer sei. Einem Gott opfere man, ein Gott war da, sichtbarlich in seinem Bild. Bestimmt war auch dieser Gott Jahve da, und die eigensüchtigen Juden verheimlichten ihn nur, auf daß man ihn ihnen nicht abspenstig mache und für andere gewinne. Feinde der Juden, vor allem die spottsüchtigen, aufgeklärten Griechen, erklärten, in Wahrheit sei es ein Eselskopf, der im Allerheiligsten verehrt werde. Aber der Spott wirkte nicht. Die hellen, klugen Römer wie die finstern, unwissenden Barbaren, alle wurden still und nachdenklich, wenn man vom Gott der Juden sprach, es blieb Geheimnis und Furcht der Welt um das unheimliche Unsichtbare im Allerheiligsten.
Den Juden des ganzen Erdkreises galt ihr Tempel als wahre Heimat, als unversiegliche Quelle ihrer Kraft. Ob am Ebro oder am Indus, ob am Britannischen Meer oder am Oberlauf des Nil, immer wenn sie beteten, wandten sie ihr Gesicht gegen Jerusalem, wo der Tempel stand. Alle zinsten sie dem Tempel freudigen Herzens, alle wallfahrteten sie zu ihm, oder es lag fest in ihrem Plan, einmal am Osterfest ihr Lamm in den Tempel zu bringen. War ihnen ein Unternehmen geglückt, dann dankten sie es dem Unsichtbaren im Tempel, waren sie schwach und in Not, dann wollten sie Hilfe von ihm. Nur im Bereich des Tempels war die Erde rein, und hierher schickten, die im Ausland wohnten, ihre Leichen, auf daß sie im Tode wenigstens zurückfänden. So verstreut sie waren, hier hatten sie eine Heimat.
Der Kaiser war, als der Bericht über die Erstürmung des Palastes von Tiberias in Rom eintraf, auf einer Kunstreise in Griechenland. Er hatte für die Dauer seiner Abwesenheit seinen Hausminister Claudius Hel mit der Führung der Regierungsgeschäfte beauftragt. Der berief sogleich einen Kabinettsrat ein. Da saßen sie zusammen, die siebenunddreißig Herren, die die maßgebenden Hofämter bekleideten. Die Nachricht, daß die Empörung in Judäa von neuem losgebrochen sei, erregte sie tief. Zehn Jahre früher wäre diese Depesche eine unwichtige Meldung aus einer unwichtigen Provinz gewesen. Jetzt traf sie die Regierung an ihrer empfindlichsten Stelle, gefährdete ihr wichtigstes Projekt, den neuen Alexanderzug.
Sie, diese siebenunddreißig Herren, waren es, die das gewaltige Projekt auf eine solide Basis gestellt hatten. Sie hatten Stützpunkte in Südarabien für den Seeweg nach Indien geschaffen, die finanziellen Mittel für den Feldzug nach Äthiopien und einen noch kühneren nach dem Kaspischen Tor beschafft. Schon waren gemäß dem Kriegsplan der Marschälle Corbulo und Tiberius Alexander die Truppen in Marsch gesetzt. Die Zweiundzwanzigste Legion sowie alles, was an Truppen in Deutschland, England, Dalmatien entbehrt werden konnte, war auf dem Weg nach dem Osten, die Fünfzehnte Legion auf dem Weg nach Ägypten. Und nun wurde der ganze großartige Plan umgeworfen durch diese immer wieder aufflackernde Rebellion gerade mitten im Auf marschgebiet. Ach, man hätte gern den Versicherungen der Lokalbehörden geglaubt, die Provinz werde sich bald von selber beruhigen. Aber jetzt zeigte sich ja, daß es so nicht ging, daß man an die Niederwerfung des Aufstands sehr viele Menschen und
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