Der jüdische Krieg.
es war ein ziemlich kalter Vorfrühlingstag, und er war immerhin achtundfünfzig Jahre alt und spürte schon wieder seinen Rheumatismus.
Unmutig, die starken Falten der breiten Stirn vertieft, das ganze runde Bauerngesicht finster, trotz des zusammengepreßten langen Mundes laut und verdrießlich atmend, stapfte er hin und her. Die Festvorstellung war für ihn sehr unfestlich verlaufen. Eisiges Schweigen war, wohin er sich wandte, kaum daß man seine Grüße erwidert hatte, und der Kammerherr Gortyn, dieser geleckte Schweinehund, hatte auf seine Frage, ob er Aussicht habe, der Majestät in den nächsten Tagen seine Aufwartung machen zu dürfen, in seinem frechen Provinzgriechisch erwidert: »Fressen Sie Ihren eigenen Mist.«
Wenn er sich’s überlegte, blieb ihm wirklich nichts anderes übrig. Daß ihm diese blöde Geschichte vor drei Tagen hatte passieren müssen. Jetzt war die ganze kostspielige griechische Reise zwecklos. Dabei war die Geschichte bei der kaiserlichen Rezitation nur halb so schlimm gewesen. Eingeschlafen war er, das gab er zu. Aber geschnarcht hat er nicht, das ist eine freche Verleumdung dieses Hundesohns von Kammerherrn. Er hat nur von Natur einen so lauten Atem.
Der alte General schlug mit den Armen um sich, um warm zu werden. Wie immer, zum Kaiser vorgelassen wurde er bestimmt nie mehr, das hat er heute im Theater auch ohne Brille erlinsen können. Er durfte froh sein, wenn man ihm keinen Majestätsbeleidigungsprozeß an seinen angeblichen Schnarchhals hängte. Es war schon das beste, still auf sein italienisches Besitztum zurückzureisen.
An sich ist es ihm nicht einmal unwillkommen, daß er jetzt seine Tage in Ruhe beschließen soll. Von allein hätte er niemals seine alten Knochen zusammengerissen und wäre dem Kaiser nach Griechenland nachgefahren, um es ein letztes Mal zu versuchen. Es war nur, weil die Dame Cänis, seine Freundin, keine Ruhe gegeben hat. Nie haben sie ihm seinen guten, bäuerlichen Frieden gelassen. Immer wieder haben sie auf ihn eingehetzt, bis er hinaufgeklettert und glücklich wieder heruntergefallen war.
Begonnen hat das schon in seiner Jugend, und schuld daran war der verfluchte Bauernaberglaube seiner Mutter. Daß bei seiner Geburt eine alte, heilige Eiche des Mars einen neuen, unwahrscheinlich üppigen Wurzelschößling trieb, hatte die handfeste Dame als sicheres Glückszeichen genommen: ihr Sohn, das war vom Schicksal bestimmt, wird mehr erreichen als die Steuerpächter, Provinzbankiers und Linienoffiziere, von denen er abstammt. Er selber hatte von Kind auf Freude an ländlicher Ökonomie gehabt, er wäre am liebsten sein ganzes Leben lang auf dem Gut seiner Eltern geblieben, mit bäuerlich ausgeprägtem Finanzsinn die Produkte dieses Besitztums verwertend. Aber seine resolute Mutter hatte nicht abgelassen, bis sie auch ihm ihren unverwüstlichen Glauben an seine große Zukunft einpflanzte und ihn gegen seinen Willen in die politisch-militärische Karriere hineintrieb.
Der alte General, wenn er an alle die Fehlschläge dachte, die diese Karriere ihm gebracht hat, schnaubte heftiger, preßte die langen Lippen fester zusammen. Dreimal hintereinander war er durchgefallen. Schließlich, mit Ach und Krach, hatte er es zum Bürgermeister der Hauptstadt gebracht. Zwei Monate ging alles vortrefflich. Seine Polizei funktionierte, der Sicherheitsdienst bei den sportlichen Veranstaltungen und in den Theatern klappte ausgezeichnet, Nahrungszufuhr und Märkte waren gut geregelt, die Straßen Roms waren mustergültig gehalten. Aber ausgerechnet bei der Straßenhaltung erwischte es ihn. Den Kaiser Claudius, und zwar gerade da, als er auswärtigen Gesandten seine Hauptstadt zeigen wollte, trieb eine unselige Laune, eine der wenigen schlechtgepflegten Nebenstraßen zu nehmen, und der ganze feierliche Zug blieb im Schmutz stecken. Kurzerhand und exemplarisch ließ der Kaiser dem Bürgermeister Vespasian, den er unter sein Gefolge befohlen hatte, das Galakleid über und über mit Kot und Pferdeäpfeln beschmieren.
Der General Vespasian, wie er an jene Sache dachte, verzog das schlaue Bauerngesicht, schmunzelte. Die Affäre damals war dennoch günstig abgelaufen. Er mußte, vor allem wohl durch die Haltung seiner kotgefüllten Ärmel, einen kläglich spaßhaften Eindruck gemacht haben, und offenbar hatte sich dem Kaiser dieser jämmerlich komische Anblick als etwas Erfreuliches ins Gehirn geprägt. Jedenfalls hatte er, Vespasian, weiterhin nichts
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