- Der Jünger des Teufels
Kosten erlauben, indem er mich zu einer
sinnlosen Jagd nach einem Killer zwingt, der gar nicht existiert, aber Gemal
ist alles zuzutrauen. Was passiert jetzt?«
»Ich habe mit dem Gouverneur gesprochen. Er weist
ausdrücklich darauf hin, dass Gemal in drei anderen Mordfällen für schuldig
befunden wurde, selbst wenn er David und Megan tatsächlich nicht getötet hat.
Diese Morde hat er sogar auf dem Band gestanden, das wir vorhin aufgezeichnet
haben, obwohl er sie bis zum heutigen Tag nicht zugegeben hatte. Nun, im
Hinblick auf Gemals bisheriges Schweigen bezweifelt der Gouverneur, dass wir
weitere Informationen über diese anderen Morde von ihm bekommen werden.«
»Was heißt das genau. Mr Clay?«
»Die Hinrichtung findet statt.«
9.
Stellen Sie sich ein kleines Theater vor. Vier
Sitzreihen gegenüber von einer Bühne. Stellen Sie sich das Publikum vor, das Platz
nimmt und darauf wartet, dass der Vorhang geöffnet wird und die Show beginnt.
Aber diese Zuschauer waren nicht gekommen, um sich ein von Schauspielern oder
Schülern aufgeführtes Stück anzusehen. Heute stand die Hinrichtung eines Menschen
auf dem Programm.
In Greensville gibt es zwei getrennte Räume mit Blick auf
die Hinrichtungsbühne. In dem einen sitzen die vom Staat ausgewählten zwölf
Zeugen, doch der andere Raum, in den ich nun geführt wurde, war bis auf den
letzten Platz mit Angehörigen der Opfer besetzt. Die meisten hatte ich beim
Prozess gegen Gemal kennen gelernt. Drei Sitze entfernt saß Gaby Stenson, eine
verwitwete Mutter dreier Kinder aus Oregon. Ich wusste, dass sie sechsunddreißig
war, doch der Kummer ließ sie zehn Jahre älter aussehen: entsetzlich
abgemagert, das glanzlose braune Haar zurückgekämmt, die Augen stumpf und tot.
Gemal hatte Gabys Mann und ihre Nichte Marie ermordet, ein hübsches Mädchen von
siebzehn Jahren.
In ihrer Nähe saß Rob Mercier, ein Banker aus
Chicago, dessen Frau und Tochter Gemal vor vier Jahren abgeschlachtet hatte. In
dem Nadelstreifenanzug mit der marineblauen Seidenkrawatte und dem
cremefarbenen Seidenhemd war Mercier tadellos gekleidet. Doch der Schmerz hatte sich in sein
Gesicht gegraben: zusammengepresste Lippen und dunkle Augen, in denen sich
grenzenlose Einsamkeit spiegelte.
Melanie Jackson saß mit ihrer Mutter in der dritten Reihe. Ich
freute mich, sie zu sehen; sie war das einzige Opfer, das ich gerettet hatte.
Melanies verwitwete Mutter hatte sich tausend Mal beim FBI bedankt, dass wir
ihrer Tochter das Leben gerettet hatten. Als Melanie mich entdeckte, winkte sie
mir zu. Sie schien binnen eines Jahres fast erwachsen geworden zu sein, war aber
furchtbar dünn. Das Trauma, bei der Ermordung ihres Vater dabei gewesen zu
sein, hatte sie frühzeitig altern lassen. Noch etwas jagte mir beim Anblick
Melanies kalte Schauer über den Rücken. Es war mir erst aufgefallen, als ich
sie in den Tagen nach ihrem Martyrium in der Höhle verhört hatte: Sie ähnelte
Megan so sehr, dass es schon unheimlich war. Dieselben mandelförmigen braunen
Augen, das rabenschwarze Haar, die blasse Haut, die Zahnklammer, das sanfte
Wesen. Als ich sie jetzt wiedersah und an Megan dachte, begann ich zu frösteln.
Brogan Lacy saß mit angespannter Miene in der letzten Reihe.
Ich vermute, dass wir alle, die wir durch Gemals Gräueltaten gelitten hatten,
verloren aussahen. Die Trauer würde vielleicht verblassen, aber die Narben
hatten sich unauslöschlich in unsere Herzen gebrannt. Einige der Besucher begrüßten
mich, und ich hörte sie flüstern: »Hallo, Kate.«
Ich nickte ihnen zu. Wir waren fast so etwas wie eine
Familie geworden. Wir hatten das unvorstellbare Entsetzen überlebt, geliebte
Menschen durch die brutale Schlächterei eines Killers zu verlieren und den
psychischen Stress der Gerichtsverhandlung mit den albtraumhaften
Zeugenaussagen zu durchleben. Ich glaube, sie alle wollten ebenso wie ich
zurück in ein normales Leben und dieses düstere Kapitel endlich abschließen.
Nun, da Gemals Hinrichtung unmittelbar bevorstand, erkannte
ich, dass ich der Exekution gemischte Gefühle entgegenbrachte. Ich wollte Gemal
sterben sehen und war überzeugt davon, dass die Hinrichtung rechtens war.
Dennoch kam mir der Wunsch, seinen Tod zu erleben, mit einem Mal wie ein Makel
vor.
»Meine Damen und Herren, verzeihen Sie die Verzögerung, doch
jetzt können wir beginnen.« Mit diesen Worten wandte sich ein Gefängnisbeamter
an die Versammlung. »Denken Sie bitte daran, dass Sie die Möglichkeit haben,
den
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