- Der Jünger des Teufels
Woche zwei Menschen abgeschlachtet hatte, einen Vater und seine
Tochter – Walther J. Liephart und die siebzehnjährige Becky, beide aus Ohio.
Sie waren zum ersten Mal als Touristen in Paris gewesen und hatten Beckys Highschool-Abschluss
gefeiert. Ihre Entführung und Ermordung waren ein klassisches Beispiel, wie
naiv manche Mordopfer sein konnten.
Gemal hatte sich in einer Pariser Metrostation an sie
herangemacht, nachdem er auf ihren amerikanischen Akzent aufmerksam geworden
war. Er folgte ihnen heimlich und bildete sich in aller Ruhe ein Urteil über
seine Beute, ehe er Vater und Tochter zu seinen neuen Opfern auserkor. Als es
so aussah, als hätten die Liepharts sich verirrt, spielte Gemal ihnen vor, ein
in Frankreich arbeitender amerikanischer Historiker zu sein, und schmeichelte
sich bei dem naiven Vater und seiner Tochter ein. Am Spätnachmittag fuhr er sie
durch Paris und zeigte ihnen die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten.
Seinem Plan folgend und mit einem Rucksack ausgerüstet, in dem
er den Gürtel mit den mörderischen Schlachtermessern und die Todesaxt für seine
Bluttaten versteckt hatte, lockte er die Liepharts mit dem Versprechen auf eine
Führung in die Katakomben unterhalb der Straßen von Paris. Was Gemal diesen
beiden Opfern zufügte, erfüllte sogar die härtesten Kommissare der französischen
Mordkommission mit grellem Entsetzen. Beckys Kopf war mit solch brutaler Gewalt
mit der Axt vom Körper abgeschlagen worden, dass Knochensplitter der
Nackenwirbel in den Boden der Katakomben eingedrungen waren. Die verstümmelten
Leichen wurden eine Woche später gefunden; zwischen ihnen lag ein kleines
Holzkreuz. Ein Benzinkanister wurde in der Nähe entdeckt, aber die Leichen
waren nicht verbrannt worden.
Die Ermittler gingen davon aus, dass Gemal auf diesen Teil seines
Rituals verzichten musste, weil Besuchergruppen durch die Katakomben geführt
wurden, sodass er befürchten musste, ungewollte Aufmerksamkeit auf sein Verbrechen
zu lenken und seine Chance auf ein Entkommen zu schmälern.
Aufgrund meiner Recherchen in Zusammenhang mit Gemals in
Paris verübten Morden wusste ich, dass die Katakomben sich fast zwei Kilometer
weit unter den Straßen der Stadt erstreckten. Sie bestanden aus unzähligen
Tunnelgewölben, in denen die Knochen und Skelettreste von über sechs Millionen
Parisern lagerten. Als Baron Haussmann Ende des siebzehnten Jahrhunderts die
französische Hauptstadt neu konstruiert hatte, wurden ganze Viertel dem Erdboden
gleichgemacht. Friedhöfe wurden abgetragen; um die sterblichen Überreste
unterzubringen, wurden die Katakomben tief unter der Stadt angelegt. Jetzt waren
sie eine Touristenattraktion. Die Pariser selbst nannten die Tunnel das »Reich
der Toten«. Die schaurigen Krypten waren der ideale Ort für Gemals Morde.
Inspektor Delon zündete sich eine stinkende
französische Zigarette an und ließ das Fenster herunter, als wir über eine
Seine-Brücke fuhren. »Nach derzeitigen Erkenntnissen wurden die Morde vor mehr
als sechsunddreißig Stunden verübt. Die Leichen wurden von Technikern der
städtischen Kanalwartung entdeckt, wahrscheinlich weniger als eine halbe
Stunde, nachdem die Morde verübt worden waren. Ein anonymer Anrufer rief im Büro
der Kanalwartung an, erklärte, er habe die Leichen gefunden, und legte auf.«
»Konnten Sie den Anruf zurückverfolgen, oder wurde er
aufgezeichnet?«
»Leider nicht. Und trotz unserer Bitte in sämtlichen Medien
hat der Anrufer sich nicht mehr gemeldet.«
»Wer sind die Opfer?«, fragte ich.
Delon blies den
Rauch aus dem Fenster, und der Wind trug ihn davon. »Ein Vater und seine
Tochter, beide aus Kansas. Offenbar wurden sie mit Messern und einer Axt
getötet. Dann wurden ihre Leichen auf einen kleinen, hastig errichteten
Scheiterhaufen gelegt und mit Benzin angezündet. Genau in der Mitte zwischen
den Opfern haben wir ein Holzkreuz gefunden.«
Ich fröstelte. »Was wissen Sie noch über den Tatort?«
»Zum Glück sind die Leichen nicht vollständig verbrannt. Die
Techniker riefen die Polizei, und es gelang ihnen, das Feuer zu löschen. Wir
haben auch die Reisepässe und persönliche Gegenstände der Opfer gefunden, die
der Täter nicht auf den Scheiterhaufen gelegt hat. Am Tatort wurde kaum etwas
verändert.«
Das melodische Klingeln von Delons Handy unterbrach unser
Gespräch. Er meldete sich und sprach sehr schnell, ehe er sich uns mit
finsterer Miene zuwandte. »Das war das Präsidium. Offenbar hat es einen
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