Der Jünger
Beide waren ihr unbekannt.
Der Zeuge hatte ihr den Rücken zugekehrt, doch als sie näher kam, erkannte sie schnell, dass es Joseph war.
Die Streifenpolizisten warfen ihr einen skeptischen Blick zu, aber January achtete nicht darauf. Sie sah zum Captain und beschloss, besonders höflich und vorsichtig zu sein.
“Captain Borger.”
Er nickte, dann warf er Ben einen Blick zu, der alles andere als erfreut wirkte.
Sie biss die Zähne zusammen und gab ihr Vorhaben gleich wieder auf.
“Sie dürfen sich diesen Blick gern für jemanden aufsparen, den Sie damit einschüchtern können”, sagte sie schnippisch. “Ich bin nicht wegen einer Story hier, sondern wegen Mutter Mary Theresa. Ich fürchte, ich habe sie da mit reingezogen, als ich versuchte, diesen Mann zu finden. Und ich weiß, warum er sie entführt hat.”
“Hören Sie, Miss DeLena, wir wissen Ihre Meinung sehr zu schätzen”, sagte Borger. “Aber wir haben keinen Beweis, dass sie ein Opfer Ihres Priesters ist. Außerdem ist das eine Polizeiangelegenheit, und …”
“Und ohne mich wären Sie diesem Fall nicht einmal auf die Spur gekommen! Also, müssen wir uns jetzt weiter darum streiten, wer die größten Eier hat, oder können wir uns wie vernünftige Menschen verhalten und versuchen, Mutter Mary Theresa zu finden, bevor sie so endet wie Scofield?”
Borger wollte eigentlich wütend sein, aber irgendwie gefiel ihm ihre Art.
“Okay, Miss DeLena, Sie haben gewonnen. Ihre Eier sind die größten. Also, was können Sie uns jetzt sagen, was wir nicht schon wissen?”
Sie schoss mit einer Gegenfrage zurück. “Was haben Sie denn von Joseph erfahren?”
Borger sah sie mit großen Augen an. “Sie kennen diesen Mann?”, fragte er und deutete auf den Zeugen.
“Natürlich”, erwiderte sie. “Ich habe hier jahrelang als freiwillige Helferin gearbeitet. Daher kenne ich alle Stammgäste. Nebenbei gesagt wohnt Joseph hier, nicht, Joey?”
Joseph erkannte January und klatschte in die Hände. “Jannie … Es ist Jannie. Hast du mir eine Überraschung mitgebracht?”
January ging an den Polizisten vorbei und umarmte Joseph. “Hallo. Nein, ich habe heute nichts mitgebracht. Ich bin hergekommen, um bei der Suche nach Mutter Mary T. zu helfen.”
Joseph verzog das Gesicht. Seine schmalen, mandelförmigen Augen füllten sich mit Tränen, und er schlug sich die Hände vors Gesicht.
“Kann Mutter Mary nicht finden. Mutter Mary liest mir vor. Wer liest mir jetzt Geschichten vor?”
Er tat January leid. Im Grunde war sie genauso verängstigt wie Joseph, aber sie konnte es besser verstecken.
“Komm, wir setzen uns auf die Bank, ja? Dann kannst du mir erzählen, was passiert ist.”
January führte ihn zu der Bank neben ihnen. Sie setzten sich, und sie hielt immer noch seine Hand. “Du weißt, wie stolz ich auf dich bin und dass Mutter Mary immer gesagt hat, wie klug du bist. Deshalb musst du mir genau erzählen, was passiert ist.”
Tränen sammelten sich in den Falten von Josephs Augenwinkeln, und aus seiner Nase lief ein feiner Streifen Rotz.
January sah zu Ben hoch. “Kann ich mal dein Taschentuch haben?”
Er reichte es ihr.
“Danke.” Sie betupfte Josephs Augen, dann wischte sie seine Nase sauber und gab ihm das Taschentuch. “Das kannst du behalten, Ben hat nichts dagegen.”
Joseph lächelte Ben an, dann faltete er das Tuch zusammen.
“Dann lass uns mal über diesen Mann reden, okay?”, sagte January ruhig.
Joseph lächelte wieder. Wenn January sagte, es sei alles in Ordnung, dann beruhigte ihn das.
“Der Mann war krank. Mutter Mary sagt: 'Geh zu Schwester Sarah, sie soll 9-1-1 anrufen.' Schwester Sarah ist nicht da. Ich suche und suche, und ich finde sie nicht.”
January unterdrückte ein Stöhnen, als sie daran dachte, wie viel wertvolle Zeit verschwendet worden war, in der man Mutter Mary Theresa hätte suchen können.
“Was hast du dann gemacht?”, wollte January wissen.
“Ich gehe zum Büro. Ich kann 9-1-1 anrufen. Ich will telefonieren, aber Schwester Ruth sagt Nein. Ich sage: 'Mutter Mary will, dass ich Schwester Sarah suche.' Schwester Ruth lässt mich nicht ans Telefon. Ich weine.”
In dem Moment brach er wieder in Tränen aus.
January legte ihm den Arm um die Schultern und wiegte ihn. “Ist schon gut, Joey, es ist nicht deine Schuld.”
“Jetzt weine ich.”
“Alles ist in Ordnung”, versicherte January ihm.
“Hören Sie, damit kommen wir überhaupt nicht weiter”, mischte sich Borger ein.
“Um
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