Der Jünger
singst?”
“Nein.”
Sie lachte wieder. Diesmal noch lauter und herzlicher.
Wie sehr er dieses Lachen mochte. Er wusste, dass er kurz davor stand, sich in diese Frau zu verlieben.
January stand früh auf, um eine Morgenrunde im Park zu joggen, bevor sie zur Arbeit ging. Nach der ganzen Pasta am Abend zuvor musste sie mindestens drei Kilometer laufen – vielleicht auch mehr, wenn ihr genug Zeit blieb. Ihr fiel ein, dass sie möglicherweise dem Sünder wieder in die Arme laufen könnte, verdrängte diesen Gedanken aber sofort.
Sie wusch sich das Gesicht, putzte die Zähne und band sich das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Im Wetterbericht war Regen vorhergesagt worden, aber so, wie der Himmel aussah, rechnete sie damit, noch jede Menge Zeit zu haben, bevor das Wetter umschlug.
Sie suchte sich ein Paar leichte Jogginghosen heraus, einen Sport-BH, darüber ein ärmelloses Hemd und ihre Lieblingslaufschuhe, steckte den Hausschlüssel ein und verließ ihr Apartment.
Wie immer blieb sie am Gehwegrand stehen, sah sich nach dem Verkehr von beiden Seiten um, überquerte dann die Straße und begann zu laufen. Als sie die Kreuzung erreichte, wandte sie sich nach rechts. Innerhalb eines Augenblicks war ihr Wohnhaus außer Sicht und sie auf dem Weg in den Park.
Die Sonne erschien gerade am Horizont und färbte den Himmel im Osten in einen blassen hellgelben Ton, durchsetzt mit dunkleren Blauschatten. Wahrscheinlich die Vorboten des angekündigten Regens. Sie blickte auf ihre Armbanduhr, schätzte die Zeit, die ihr zum Joggen blieb, ohne zu spät zur Arbeit zu kommen, dann lief sie über eine weitere Kreuzung, bevor sie in den Park abbog.
Die Luft roch nach Feuchtigkeit. Feine Tropfen von Tau, die sich über Nacht auf den Blättern gesammelt hatten, tropften auf das Pflaster unter ihren Füßen, sodass der Boden etwas schlüpfrig wurde. Deshalb achtete sie beim Laufen besonders darauf.
Ein Eichhörnchenpaar sprang unter der Bank hervor und auf den nächststehenden Baum. Beide zeterten, als sie vorbeilief. Ein halbes Dutzend Tauben, die auf einer Statue gesessen hatten, flog auf, während ein paar andere sich weiter an dem Tage alten Popcorn satt fraßen, das sie unter den Sträuchern entdeckt hatten.
January beobachtete sie zwar, war aber in Gedanken schon mit dem bevorstehenden Arbeitstag beschäftigt und, noch viel wichtiger, mit der Verabredung, die sie am Abend mit Ben North hatte.
Weiter entfernt sah sie zwei Männer joggen und parallel zu dem Weg, auf dem sie lief, einen berittenen Polizisten. Durch seine Gegenwart fühlte sie sich sicherer.
Kaum ging ihr dieser Gedanke durch den Kopf, da wurde sie nervös. Sie war sich nicht bewusst gewesen, dass sie sich unbehaglich fühlte, bevor sie solche Überlegungen über die Sicherheit angestellt hatte. Sie versuchte, sich damit zu beruhigen, dass es helllichter Tag war. Es gab keinen Grund, anzunehmen, dass ihr hier Gefahr drohte.
Wieder blickte sie auf die Uhr, dann schlug sie den Weg ein, der sie zu ihrem Haus zurückführte.
Der Schweiß rann ihr über den Rücken. Ihre Beinmuskeln brannten und sie hatte Seitenstiche – ein Zeichen dafür, dass sie definitiv schlecht in Form war und öfter laufen musste.
Keine hundert Meter vom Parkausgang entfernt trat ein Gartenarbeiter hinter einem Baum vor und wäre fast mit ihr zusammengestoßen. Er ließ die Heckenschere fallen, die er in der Hand gehabt hatte, und hielt January fest, um sie vor einem Sturz zu bewahren.
“Oh, tut mir leid, Miss. Ich hab Sie nicht kommen sehen. Alles in Ordnung?”
January zitterte.
“Ja, alles in Ordnung. Ich hab Sie auch nicht gesehen.”
“Na gut, wenn Ihnen nichts fehlt, mach ich mich wieder auf”, sagte er.
“Sicher … Klar, alles bestens.”
Er hob seine Schere auf und ging schnell den Pfad hinunter. January blieb stehen, verloren in Gedanken, die ihr eine Gänsehaut über den Körper jagten. Der Sünder hatte sie beobachtet. Im Park, auf der Straße, sogar im Obdachlosenheim. Er hatte ihr mehr oder weniger zu verstehen gegeben, dass er sie dabei gesehen hatte, wie sie sich mit Mutter Mary Theresa unterhalten hatte.
January wandte sich abrupt um. Sie wollte sehen, ob der Parkarbeiter gegangen war. Dann drehte sie sich langsam im Kreis, um nachzuprüfen, ob sich womöglich irgendjemand anders in den Büschen versteckt halten könnte, der sich auf sie stürzen wollte, wenn sie gerade nicht aufpasste.
Mit zittrigen Fingern strich sie sich ein paar lose Haarsträhnen
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