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Der Jünger

Der Jünger

Titel: Der Jünger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
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Herrn zu sein. Niemals habe ich das behauptet, und du wirst es auch nicht schaffen, mich dazu zu bringen! Du bist schlecht. Du bist schlecht. Vielleicht habe ich mit dir einen Fehler gemacht, genauso wie mit Bartholomäus. Vielleicht muss ich dich ersetzen!”
    Simon stand auf und rüttelte an seinen Ketten. “Du solltest uns alle ersetzen!”
    “Ja!”, schrien die anderen. “Ersetze uns auch!”
    Ein Blitz flackerte in der Nähe auf, gefolgt von einem lang anhaltenden Donnergrollen. Als es vorbei war, stand Jay zitternd vor Wut da. Bevor er etwas sagen konnte, schoss ihm ein so scharfer Schmerz durchs rechte Auge, dass er glaubte, sein Schädel würde in zwei Hälften gespalten. Er schlug die Hände vor das Gesicht und fiel auf die Knie.
    “Aufhören! Aufhören!”, brüllte er. “Es ist eure Schuld! Alles nur eure Schuld!”
    “Du musst mich austauschen!”, rief Tom immer wieder und rüttelte an seinen Ketten. “Lass mich endlich gehen! Lass mich auch gehen!”
    Jay rappelte sich hoch, seinen Handballen fest gegen das rechte Auge gepresst.
    “Ich habe ihn nicht gehen lassen, du Dummkopf! Er ist tot! Er ist tot! Er war der Falsche! Bist du auch der Falsche? Ja, Thomas? Bis du auch der Falsche?”
    Gerlich erschauerte. Er hatte eine Schleuse geöffnet, ohne zu wissen, wie er die eintretende Flut aufhalten konnte. Doch bevor er irgendetwas sagen konnte, begann Andy zu heulen.
    “Andy hat Angst”, wimmerte er und hielt sich die Ohren zu. “Da oben ist so ein Krach. Ich kann Krach nicht leiden.”
    Jay schauderte, als der Schmerz ein wenig nachließ. “Ich auch nicht”, sagte er. “Ich auch nicht. Bitte, ihr versteht das nicht. Ich brauche euch. Ich brauche euch alle, damit ich das hier durchführen kann.”
    Simon Peters war einer der Ersten gewesen, die gekidnappt worden waren. Er besaß kein Zuhause, keine Freunde und kein Geld. Er wollte mehr als alle anderen kapieren, warum man ihn ausgesucht hatte. “Warum?”, sagte er. “Warum wir? Hilf uns doch, das zu begreifen.”
    Jay fuhr sich mit den Fingern ins Haar, dann krallte er sich in die Strähnen und zog daran. Der Schmerz an seiner Kopfhaut lenkte ihn für einen Augenblick von dem Schmerz im Inneren seines Schädels ab. Er war es leid – so leid. Er war es leid, sich bessern zu wollen, all den Dingen einen Sinn zu geben, die in seinem Hirn durcheinander geraten waren.
    Schließlich richtete er sich auf, kämmte sich mit den Fingern durchs Haar und den Bart, in dem Versuch, seine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen, dann hob er das Kinn. Seine Stimme klang jetzt voll und kräftig. “Ich werde sterben.”
    Simon Peters riss an den Ketten, die seine Fußknöchel fesselten. “Und was soll das heißen? Willst du uns mitnehmen oder was?”
    Jay wirbelte herum und blickte Simon ärgerlich an. “Nein! Nein. Das erste Mal, als ich gestorben bin, war ich in der Hölle. Ich will Abbitte leisten. Versteht ihr das nicht? Könnt ihr das nicht begreifen? Warum kann niemand das sehen? Ich will das Leben Jesu leben. Ich will einen guten und richtigen Lebensweg gehen.”
    Simon sah ihn verdattert an. “Indem du Leute entführst? Indem du sie umbringst?”
    Jay wollte wütend etwas zurückbrüllen, doch seine Antwort klang wie ein ängstlicher, hoher Schrei. “Warum, mein Gott? Warum wollen sie nicht verstehen?”
    Er wedelte mit den Händen über seinem Kopf herum, als wollte er sich gegen feindliche Flugobjekte wehren. Aus seinen Mundwinkeln floss Speichel und seine Augen sahen alles verschwommen.
    Dann blieb er plötzlich ganz ruhig, die Arme noch immer erhoben. Einen Augenblick sagte er nichts, dann drehte er die Handflächen nach oben.
    “Indem ich lebe, wie
er
gelebt hat … Mit seinen Jüngern, zu den Massen predigend, werde ich errettet.
Ich werde errettet.”
    Tom Gerlich erschauerte, dann schluckte er schwer.
Jünger? Er sammelt Jünger?
Dann begriff er endlich. Er starrte die anderen mit Ketten in dem Hochofen gefesselten Männer an und dachte daran, wie sie hießen. Da war sein ehemaliger Kamerad, der Vietnam-Veteran Matthew. Er selbst hieß Thomas. Und die anderen … Der entsetzliche Gedanke, der ihm kam, war einfach zu unglaublich.
    “Du da.” Er zeigte auf Simon. “Du heißt Simon.”
    “Simon Peters.”
    Tom stöhnte panisch auf und fuhr fort, die anderen Namen zu nennen.
    “Andy. John. James. Jimbo – ebenfalls James.”
    Er kniff die Augen zusammen, während er die Namen laut aussprach, mehr für sich selbst als zu den anderen.

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