Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
habe es nicht begriffen, es war irgend etwas wegen dem Rechnen, aber ich sehe, daßOlga errötet, wie neu belebt ist, aufmerksam zuhört und sich eifrig mit ihm in ein Gespräch einläßt (er ist ja jedenfalls ein recht kluger Mensch!]; ich höre, daß sie sich sogar bei ihm bedankt. Er fragte sie ausführlich nach allem, und es war zu merken, daß er lange in Moskau gewohnt hatte, und auch die Direktrice des Gymnasiums kannte er, wie sich herausstellte, persönlich. ›Stunden werde ich Ihnen bestimmt verschaffen können‹, sagt er, ›denn ich bin hier mit vielen Leuten bekannt und kann mich sogar an viele einflußreiche Persönlichkeiten mit einer Bitte wenden; wenn Sie daher vielleicht lieber eine feste Stellung wünschen sollten, so können wir auch das ins Auge fassen ... zunächst aber‹, sagt er, ›verzeihen Sie mir eine offene Frage: kann ich Ihnen nicht jetzt gleich irgendwie nützlich sein? Nicht ich‹, sagt er, ›tue Ihnen, sondern Sie tun mir einen Gefallen damit, wenn Sie mir gestatten, Ihnen irgendeinen Dienst zu erweisen. Betrachten Sie es als ein Ihnen gegebenes Darlehen‹, sagt er, ›und sobald Sie eine Stelle bekommen haben, können Sie es mir gleich zurückgeben. Ich für meine Person – das können Sie mir auf mein Ehrenwort glauben –, ich würde, wenn ich später einmal selbst in solche Not geriete und umgekehrt Sie sich in guter Lebenslage befänden, ohne weiteres mit der Bitte um eine kleine Unterstützung zu Ihnen kommen und auch meine Frau und meine Tochter zu Ihnen schicken ...‹ Das heißt, ich erinnere mich nicht mehr an alle seine Worte; ich kann nur sagen, daß ich hier in Tränen ausbrach, denn ich sah, daß auch Olgas Lippen vor Dankbarkeit zuckten. ›Wenn ich es annehme‹, antwortet sie ihm, ›so tue ich es deshalb, weil ich zu einem ehrenhaften, humanen Mann, der mein Vater sein könnte, Vertrauen habe ...‹ Und so schön sagte sie das zu ihm, kurz und vornehm: ›Zu einem humanen Mann‹, sagt sie. Er stand sogleich auf: ›Bestimmt, ganz bestimmt‹, sagt er, ›werde ich Ihnen Stunden und eine Stelle verschaffen; gleich heute werde ich die Sache in Angriff nehmen, denn Sie besitzen ja ein dazu völlig ausreichendes Zeugnis.‹ Ja, ich habe vergessen zu sagen, daß er gleich zu Anfang, nachdem er hereingekommen war, alle ihre Zeugnisse vom Gymnasium durchgesehen hatte; sie zeigte sie ihm, und er selbst examinierte sie in verschiedenenGegenständen ... Olga sagte nachher zu mir: ›Siehst du wohl, er hat mich in vielen Fächern examiniert, Mamachen, und was ist er‹, sagt sie, ›für ein kluger Mann; mit einem geistig so hochstehenden, gebildeten Mann spricht man nur alle Jubeljahre einmal ...‹ Und dabei strahlt sie nur so über das ganze Gesicht. Das Geld, sechzig Rubel, liegt auf dem Tisch: ›Nehmen Sie es, Mamachen‹, sagt sie, ›wenn ich eine Stelle bekomme, so soll es unsere erste Pflicht sein, es so schnell wie möglich zurückzugeben; wir wollen ihm beweisen, daß wir ehrliche Menschen sind; daß wir Taktgefühl besitzen, das hat er schon gesehen.‹ Darauf schwieg sie ein Weilchen, und ich sehe, daß sie so tief atmet: ›Wissen Sie, Mamachen‹, sagt sie plötzlich zu mir, ›wenn wir taktlos wären, so hätten wir es vielleicht aus Stolz gar nicht angenommen, aber dadurch, daß wir es jetzt angenommen haben, haben wir ihm unser Taktgefühl bewiesen, daß wir ihm als einem achtbaren, schon älteren Mann Vertrauen schenken, nicht wahr?‹ Ich verstand sie zuerst nicht recht und sage: ›Warum sollten wir nicht von einem vornehmen, reichen Mann eine Wohltat annehmen, Olga, wenn er überdies ein gutes Herz hat?‹ Da machte sie ein finsteres Gesicht: ›Nein, Mamachen‹, sagt sie, ›das ist nicht richtig, nicht die Wohltat haben wir nötig, sondern seine Humanität‹, sagt sie, ›ist das Wertvolle. Das Geld aber hätten wir lieber überhaupt nicht nehmen sollen, Mamachen; wenn er versprochen hat, mir eine Stelle zu verschaffen, so ist auch das schon genug ... wenn wir auch noch so sehr Not leiden.‹ – ›Na, Olga‹, sage ich, ›unsere Not ist doch so groß, daß wir es gar nicht ablehnen konnten‹, und ich lächelte sogar dabei. Na, ich freute mich im stillen, aber nach einer Stunde sagt sie zu mir in festem Ton: ›Geben Sie das Geld vorläufig noch nicht aus, Mamachen!‹ – ›Warum nicht?‹ sage ich. – ›Ich will es nicht‹, antwortete sie, brach ab und verstummte. Den ganzen Abend über schwieg sie; erst in der Nacht zwischen eins

Weitere Kostenlose Bücher