Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
darf keine Forderung von ihm annehmen ... nach den geltenden Regeln ... Aber wenn Sie wollen, ein ernster Einwand läßt sich vielleicht erheben: wenn Sie eine Forderung ohne Wissen des Beleidigten ergehen lassen, so bringen Sie dadurch gewissermaßen zum Ausdruck, daß Sie selbst ihn wenig achten, nicht wahr?«
    Unser Gespräch wurde plötzlich durch einen Diener unterbrochen,der eintrat, um etwas zu melden. Der Fürst, der ihn erwartet zu haben schien, stand, als er ihn erblickte, ohne zu Ende zu sprechen, auf und trat schnell an ihn heran, so daß dieser seine Meldung nur halblaut abstattete und ich sie natürlich nicht verstand.
    »Entschuldigen Sie mich!« wandte sich der Fürst an mich. »Ich bin in einer Minute wieder da.«
    Er ging hinaus. Ich blieb allein zurück, ging im Zimmer auf und ab und dachte nach. Sonderbar, er gefiel mir und mißfiel mir gleichzeitig stark. Er hatte etwas an sich, was ich selbst nicht näher zu bezeichnen gewußt hätte, was mich aber abstieß. »Wenn er so gar nicht über mich lacht, so benimmt er sich dabei ohne Zweifel durchaus wahr und aufrichtig, aber wenn er über mich lachte, so ... würde er mir vielleicht klüger vorkommen ...«, so dachte ich sonderbarerweise. Ich trat an den Tisch und las noch einmal den Brief an Wersilow durch. Ich versank darüber in Gedanken und vergaß sogar die Zeit, und als ich wieder zu mir kam, bemerkte ich, daß die Minute des Fürsten sich unstreitig schon zu einer ganzen Viertelstunde verlängert hatte. Das versetzte mich in einige Erregung; ich ging noch einmal auf und ab, nahm endlich meinen Hut und beschloß, wie ich mich erinnere, hinauszugehen, um, wenn ich jemanden träfe, den Fürsten rufen zu lassen und, wenn er käme, mich gleich von ihm zu verabschieden, mit der Begründung, ich hätte zu tun und könne nicht länger warten. Es schien mir, daß dies das Angemessenste sein würde; denn es quälte mich ein bißchen der Gedanke, er behandle mich nachlässig, weil er mich so lange allein ließ. Die beiden Türen dieses Zimmers, beide geschlossen, befanden sich an den beiden Enden ein und derselben Wand. Da ich vergessen hatte, durch welche Tür wir hereingekommen waren, oder wohl mehr aus Zerstreutheit, öffnete ich die eine von ihnen und erblickte plötzlich in einem langen, schmalen Zimmer eine auf dem Sofa sitzende weibliche Gestalt – meine Schwester Lisa. Außer ihr war niemand da, und sie wartete offenbar auf jemand. Aber ich hatte noch nicht Zeit gehabt, mich auch nur zu wundern, als ich auf einmal die Stimme des Fürsten hörte, der laut mit jemand sprach und nach seinem Zimmer zurückkehrte. Schnellmachte ich die Tür wieder zu, und der durch die andere Tür eintretende Fürst merkte nichts. Ich erinnere mich, daß er sich zu entschuldigen begann und etwas von einer Anna Fjodorowna sagte ... Aber ich war so überrascht und verwirrt, daß ich fast nichts verstand, und stotterte, ich müsse unbedingt nach Hause; dann ging ich, ohne mich zurückhalten zu lassen, schnell hinaus. Der wohlerzogene Fürst wird wohl über meine Manieren recht erstaunt gewesen sein. Er geleitete mich bis ins Vorzimmer und redete fortwährend, aber ich antwortete nicht und sah ihn nicht an.

IV
     
    Als ich auf die Straße hinaustrat, wandte ich mich nach links und schritt ziellos vorwärts. In meinem Kopf war ein Wirrwarr von Gedanken. Ich ging langsam und hatte, glaube ich, schon eine ziemliche Strecke, etwa fünfhundert Schritte, zurückgelegt, als ich auf einmal fühlte, daß mich jemand leicht auf die Schulter schlug. Ich wandte mich um und erblickte Lisa: sie hatte mich eingeholt und mir einen leichten Schlag mit dem Sonnenschirm versetzt. Eine große Heiterkeit, der ein bißchen Schelmerei beigemischt war, lag in ihrem strahlenden Blick.
    »Nun, wie freue ich mich, daß du nach dieser Seite gegangen bist; sonst wäre ich heute mit dir nicht zusammengetroffen!« Sie war von dem schnellen Gehen ein wenig außer Atem.
    »Wie du außer Atem bist!«
    »Ich bin so furchtbar gelaufen, um dich einzuholen.«
    »Lisa, das warst du doch, die ich soeben gesehen habe?«
    »Wo denn?«
    »Beim Fürsten ... beim Fürsten Sokolskij ...«
    »Nein, das bin ich nicht gewesen, mich hast du nicht gesehen ...«
    Ich schwieg, und so gingen wir etwa zehn Schritte. Lisa fing furchtbar an zu lachen.
    »Ich bin es gewesen, ich bin es gewesen, natürlich bin ich es gewesen! Hör mal, du hast mich doch selbst gesehen; du hast mir in die Augen gesehen und ich dir; wie kannst du

Weitere Kostenlose Bücher