Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
Vorwürfen meines Gewissens vielleicht weit mehr gelitten, als sonst jemand bei dieser Sache gelitten hat... Genügt Ihnen diese Erklärung, Arkadij Makarowitsch, wenigstens für den Augenblick, vorläufig? Wollen Sie mir die Ehre erweisen, an meine Aufrichtigkeit rückhaltlos zu glauben?«
    Ich war vollständig besiegt; ich sah eine unbezweifelbare Offenherzigkeit, die ich in keiner Weise erwartet hatte. Ich hatte überhaupt nichts Derartiges erwartet. Ich murmelte etwas zur Antwort und streckte ihm einfach meine beiden Hände hin; er schüttelte sie erfreut in den seinen. Darauf führte er den alten Fürsten weg und sprach ungefähr fünf Minuten lang mit ihm in dessen Schlafzimmer.
    »Wenn Sie mir ein besonderes Vergnügen machen wollen«,sagte er mit lauter Stimme in bestimmtem Ton zu mir, als er von dort wieder herauskam, »so fahren Sie gleich mit mir mit, und ich werde Ihnen den Brief zeigen, den ich jetzt sofort an Andrej Petrowitsch absenden werde, und zugleich auch seinen Brief an mich.«
    Ich willigte mit großer Freude ein. Mein Fürst zeigte sich, als er mich zur Tür begleitete, sehr geschäftig und rief mich ebenfalls auf einen Augenblick in sein Schlafzimmer.
    »Mon ami, wie freue ich mich, wie freue ich mich ... Wir wollen über all das noch später miteinander reden. Übrigens, hier habe ich zwei Briefe in meiner Mappe; der eine muß eigenhändig abgegeben werden, und es ist dabei eine mündliche Erklärung nötig; der andere ist an die Bank – auch da muß...«
    Mit diesen Worten händigte er mir zwei Briefe ein, die angeblich sehr eilig waren und besondere Mühe und Sorgfalt erforderten. Ich sollte hinfahren, sie persönlich übergeben, eine Quittung ausstellen und so weiter.
    »Ach, Sie Schlaukopf!« rief ich, als ich die Briefe in Empfang nahm, »ich möchte schwören, daß das alles dummes Zeug ist und es sich gar nicht um wichtige Geschäfte handelt, sondern Sie sich diese beiden Aufträge absichtlich ausgedacht haben, um mich glauben zu machen, daß ich hier eine Tätigkeit ausübe und mein Geld nicht umsonst bekomme!«
    »Mon enfant, ich kann dir versichern, daß du dich darin irrst, es sind wirklich zwei ganz unaufschiebbare Sachen ... Cher enfant!« rief er auf einmal höchst gerührt, »mein lieber junger Mann!« (Er legte mir beide Hände auf den Kopf.) »Ich segne dich und dein Los... Bleibe immer so reinen Herzens, wie du jetzt bist... so gut und brav, wie nur möglich... Liebe alles Schöne... in all seinen verschiedenen Gestalten ... Na, enfin ... enfin rendons grâce... et je te bénis!«
    Er sprach nicht zu Ende und begann, über meinen Kopf gebeugt, zu schluchzen. Ich muß gestehen, auch mir war das Weinen nahe; wenigstens umarmte ich meinen wunderlichen Kauz innig und mit Freuden. Wir küßten uns von Herzen.
    Fürst Serjosha (vollständiger: Fürst Sergej Petrowitsch, so werde ich ihn nennen) brachte mich in einem höchst eleganten Einspänner nach seiner Wohnung, und mein erstes war, die Pracht dieser Wohnung zu bewundern. Das heißt, prächtig war sie eigentlich nicht, wohl aber so, wie es bei den »feinsten Leuten« üblich ist: hohe, große, helle Zimmer (ich sah zwei davon, die übrigen waren geschlossen), und die Möbel zwar nicht in Gott weiß was für einem Versailler oder Renaissance-Stil, aber weich, bequem, reichlich, alles auf großem Fuß; dazu Teppiche, geschnitztes Holzwerk und Statuetten. Dabei hieß es von den Fürsten Sokolskij allgemein, sie seien bettelarm und besäßen geradezu nichts. Ich hatte indes flüchtig gehört, daß dieser Fürst überall, wo er nur konnte, den Leuten Sand in die Augen gestreut habe, hier und in Moskau und in seinem früheren Regiment und in Paris; er sei sogar ein Spieler und habe Schulden. Ich hatte einen verknüllten Rock an, auf dem obendrein Flaumfedern saßen, weil ich unausgekleidet geschlafen hatte, und das Hemd trug ich schon den vierten Tag. Übrigens war mein Rock noch durchaus nicht schlecht, aber da ich zu dem Fürsten hingeraten war, fiel mir Wersilows Anregung ein, mir andere Kleider machen zu lassen.
    »Denken Sie sich, eine Selbstmörderin ist schuld daran, daß ich die ganze Nacht über angezogen geschlafen habe«, bemerkte ich lässig, und da er sogleich Interesse zeigte, erzählte ich ihm die Geschichte in aller Kürze. Aber ihn beschäftigte offenbar vor allen Dingen sein Brief. Besonders frappierte es mich, daß er nicht nur nicht gelächelt, sondern nicht einmal den geringsten Ansatz dazu hatte sehen lassen,

Weitere Kostenlose Bücher