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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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hauptsächlich deshalb so zufrieden war, weil ich heute zu dem Fürsten Nikolai Iwanowitsch zu gehen vorhatte. Aber dieser Tag sollte in meinem Leben verhängnisvoll werden; er brachte mir viel Unerwartetes und begann sogleich mit einer Überraschung.
    Punkt zehn Uhr öffnete sich meine Tür sperrangelweit, und hereingestürzt kam – Tatjana Pawlowna! Alles in der Welt hätte ich eher erwartet als einen Besuch von ihr; erschrocken sprang ich bei ihrem Anblick auf. Ihr Gesicht trug den Ausdruck höchster Wut, ihre Bewegungen waren zerfahren, und wenn man sie gefragt hätte, so hätte sie vielleicht selbst nicht sagen können, warum sie zu mir gelaufen kam. Ich sage vorgreifend: sie hatte soeben eine außerordentliche Nachricht erhalten, von der sie ganz bestürzt war, und stand noch unter dem ersten Eindruck derselben. Und diese Nachricht betraf auch mich. Übrigens blieb sie bei mir nur eine halbe Minute, na, sagen wir, eine ganze Minute, aber jedenfalls nicht länger. Sie stürzte ganz wild auf mich los.
    »Also so benimmst du dich!« schrie sie, indem sie sich vor mich hinstellte und sich mit dem ganzen Oberkörper vorbeugte. »Ach, du Grünschnabel! Was hast du da angerichtet? Oder weißt du es noch nicht? Sitzt da und trinkt Kaffee! Ach, du Schwatztante, du Klatschmaul, du papiernerLiebhaber ... Solche Buben müßte man mit dem Stock durchhauen, mit dem Stock, mit dem Stock!«
    »Aber Tatjana Pawlowna, was ist denn passiert? Was ist denn passiert? Ist Mama? ...«
    »Du wirst es schon noch erfahren!« rief sie drohend und lief aus dem Zimmer, kaum daß ich sie ordentlich gesehen hatte. Ich hätte ihr natürlich nacheilen können, aber es hielt mich ein Gedanke zurück, nicht eigentlich ein Gedanke, sondern eine dunkle Unruhe: ich ahnte, daß der »papierne Liebhaber« unter ihren Schimpfworten das schlimmste gewesen war. Natürlich hätte ich allein nicht den Sinn erraten, aber ich ging schnell los, um möglichst bald mit Stebelkow fertig zu werden und mich dann zum Fürsten Nikolai Iwanowitsch zu begeben. »Dort werde ich den Schlüssel zu all diesen Rätseln finden!« dachte ich instinktiv.
    Merkwürdig, wie es zugegangen war, aber Stebelkow wußte schon die ganze Geschichte über Anna Andrejewna, sogar mit vielen Einzelheiten; ich will nicht seine Reden und Gesten schildern, aber er war entzückt, bis zur Begeisterung entzückt über diesen »Meisterstreich«.
    »Ist das ein Frauenzimmer! Nein, so ein Frauenzimmer!« rief er aus. »Nein, die ist eine andere Sorte als wir; wir sitzen ahnungslos da, sie aber bekommt Lust, Wasser unmittelbar aus der Quelle zu trinken, und – schon ist es geschehen! Das ... das ist eine antike Statue! Das ist eine antike Minervastatue, nur daß sie umhergeht und ein modernes Kleid trägt!«
    Ich ersuchte ihn, zur Sache zu kommen; die ganze Sache bestand, wie ich mir gleich gedacht hatte, nur darin, daß ich den Fürsten Sergej dazu überreden möchte, zum Fürsten Nikolai Iwanowitsch zu fahren und diesen um eine definitive Unterstützung zu bitten. »Sonst kann es ihm sehr, sehr schlecht gehen, und die Sache liegt dann nicht mehr in meiner Hand. Nicht wahr?«
    Er sah mir ins Gesicht, nahm aber wohl nicht an, daß mir über die Lage des Fürsten Sergej mehr bekannt sei, als ich bei unserm vorigen Gespräch gewußt hatte. Und er konnte das auch nicht annehmen, da ich selbstverständlich mit keinem Wort und keiner Andeutung verriet, daß ichetwas von den Aktien wußte. Unsere Erörterungen dauerten nicht lange; er versprach mir sogleich Geld, »eine bedeutende Summe, eine ganz bedeutende Summe«, wenn ich es nur dahin brächte, daß der Fürst hinführe. Die Sache sei eilig, sehr eilig; das sei eben das Unglück, daß die Sache so eilig sei.
    Mich lange mit ihm herumzustreiten wie das vorige Mal, hatte ich keine Lust und stand auf, um fortzugehen, nachdem ich für alle Fälle die Bemerkung hingeworfen hatte, ich würde es versuchen. Aber auf einmal versetzte er mich in unaussprechliches Erstaunen: ich ging schon zur Tür, als er mich plötzlich freundlich mit dem Arm um die Taille faßte und ... die unverständlichsten Dinge zu reden anfing.
    Ich lasse die Einzelheiten weg und reproduziere nicht den ganzen Gang des Gesprächs, um den Leser nicht zu ermüden. Der Inhalt war: er schlug mir vor, ihn mit Herrn Dergatschew bekannt zu machen, da ich ja mit diesem umginge.
    Ich verstummte für einen Augenblick und gab mir die größte Mühe, mich durch keine Gebärde zu verraten. Ich

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