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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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heraus, als ob er wieder zu weinen anfangen wollte. Er war sehr ergriffen und befand sich anscheinend in einem so üblen Zustand, wie ich ihn bei ihm meiner Erinnerung nach während der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft noch nicht wahrgenommen hatte. Gewöhnlich und sogar fast immer war er unvergleichlich frischer und munterer gewesen.
    »Ich möchte allen Menschen verzeihen, mein Freund«, lallte er weiter. »Ich möchte allen Menschen verzeihen und bin schon seit langer Zeit niemandem mehr böse. Die Kunst, la poésie dans la vie, die Wohltätigkeit gegen Unglückliche und sie, die biblische Schöne. Quelle charmante personne, ah? Les chants de Salomon ... non, ce n'est pas Salomon, c'est David, qui mettait une jeune belle dans son lit pour se chauffer dans sa vieillesse. Enfin David, Salomon, das alles geht mir im Kopf bunt durcheinander – der reine Wirrwarr. Jedes Ding, cher enfant, kann sowohl erhaben als auch gleichzeitig lächerlich sein. Cette jeune belle de la vieillesse de David – c'est tout un poème, aber bei Paul de Kock würde daraus so eine scène de bassinoire geworden sein, und wir würden alle darüber lachen. Paul de Kock hat kein Gefühl für das richtige Maß und keinen Geschmack, obwohl er Talent besitzt ... Katerina Nikolajewna lächelt über uns ... Ich habe ihr gesagt, daß wir sie nicht stören werden. Wir haben unsern Roman begonnen, und da soll man uns ihn nun auch beenden lassen. Mag es auch nur eine Träumerei sein; aber man soll uns diese Träumerei nicht nehmen!«
    »Aber Fürst, wieso denn eine Träumerei?«
    »Eine Träumerei! Wieso es eine Träumerei ist? Nun, mag es immerhin eine Träumerei sein, aber man soll uns in dieser Träumerei sterben lassen!«
    »O Fürst, warum reden Sie denn vom Sterben? Jetzt müssen Sie leben, nur leben!«
    »Aber was habe ich denn anderes gesagt? Das ist es ja eben, was ich immer wiederhole. Ich weiß wahrhaftig nicht, warum das Leben so kurz ist. Der Zweck ist gewiß, daß es einem nicht langweilig werden soll, denn das Leben ist ebenfalls ein künstlerisches Produkt des Schöpfers selbst, in der vollendeten, tadellosen Form eines PuschkinschenGedichts. Kürze ist das erste Erfordernis eines Kunstwerks. Aber wem das Leben nicht langweilig ist, dem sollte es vergönnt sein, länger zu leben.«
    »Sagen Sie, Fürst, ist die Sache schon öffentlich?«
    »Nein, mein Lieber, durchaus nicht! Wir alle sind übereingekommen, daß es noch nicht veröffentlicht werden soll. Es bleibt in der Familie, in der Familie, in der Familie. Fürs erste. Ich habe nur Katerina Nikolajewna vollständig eingeweiht, weil ich mich ihr gegenüber schuldig fühle. Oh, Katerina Nikolajewna ist ein Engel, ein Engel!«
    »Ja, das ist sie, ja!«
    »Ja? Auch du sagst ja? Und ich dachte, du seist ihr Feind. Ach ja, beiläufig, sie hat mich ja gebeten, dich nicht mehr zu empfangen. Und denke dir nur, als du hereinkamst, hatte ich das auf einmal ganz vergessen.«
    »Was sagen Sie da?« rief ich und sprang auf. »Warum? Wann hat sie das gesagt?«
    (Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht; ja, gerade etwas von dieser Art hatte ich, gleich als Tatjana bei mir gewesen war, erwartet!)
    »Gestern, mein Lieber, gestern, und ich verstehe nicht einmal, wie du jetzt hast hereinkommen können, denn es sind Anordnungen getroffen worden. Wie bist du denn hereingekommen?«
    »Ich bin ganz einfach hereingegangen.«
    »Das war auch das praktischste. Hättest du mit List hereinzukommen gesucht, so hätten sie dich gewiß abgefangen, aber da du ganz einfach hereingegangen bist, so haben sie dich durchgelassen. Die Harmlosigkeit, mon cher, ist in Wahrheit die höchste Schlauheit.«
    »Ich verstehe noch nichts: also hatten auch Sie beschlossen, mich nicht mehr zu empfangen?«
    »Nein, mein Freund, ich habe gesagt, daß ich mich daran nicht beteilige ... Das heißt, ich habe meine volle Zustimmung gegeben. Und du kannst mir glauben, mein lieber Junge, daß ich dich sehr gern habe. Aber Katerina Nikolajewna verlangte es sehr, sehr nachdrücklich ... Ah, da ist sie ja!«
    In diesem Augenblick erschien plötzlich Katerina Nikolajewna in der Tür. Sie war zum Ausfahren angekleidetund kam, wie sie das auch früher zu tun pflegte, bei ihrem Vater vorbei, um ihn zum Abschied zu küssen. Als sie mich erblickte, stutzte sie, wurde verlegen, drehte sich schnell um und ging hinaus.
    »Voila!« rief der Fürst überrascht und in starker Aufregung.
    »Das ist ein Mißverständnis!« rief ich. »Nur einen

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