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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wissen von nichts? Mit ihm ist nichts Auffälliges geschehen?«
    »Möglicherweise ist mit ihm etwas geschehen, aber was hat er denn gerade bei Ihnen gewollt?« fragte ich hastig.
    »Allerdings müßte ich darüber eigentlich Stillschweigen bewahren ... Sie und ich, wir führen heute ein sonderbares Gespräch, es ist reichlich geheimnisvoll«, sagte er und lächelte wieder. »Übrigens hat mir Andrej Petrowitsch kein Stillschweigen auferlegt. Aber Sie sind sein Sohn, und da ich Ihre Gesinnung kenne, so glaube ich diesmal sogar gut daran zu tun, wenn ich Ihnen ein Warnzeichen gebe. Stellen Sie sich vor, er kam zu mir mit der Frage: wenn er in diesen Tagen, in allernächster Zeit in die Lage kommen sollte, sich duellieren zu müssen, ob ich dann bereit sei, das Amt seines Sekundanten zu übernehmen. Selbstverständlich habe ich das entschieden abgelehnt.«
    Ich war grenzenlos erstaunt; diese Neuigkeit war die beunruhigendste von allen: da war etwas geschehen, da hatte sich etwas ereignet, da hatte sich unbedingt etwas zugetragen, was ich noch nicht wußte! Plötzlich ging mir flüchtig die Erinnerung daran durch den Kopf, daß Wersilow am vorhergehenden Tag zu mir gesagt hatte: »Ich werde nicht zu dir kommen, aber du wirst zu mir gelaufen kommen.« Ich brach schnell auf, um zum Fürsten Nikolai Iwanowitsch zu eilen, da ich mit noch größerer Bestimmtheit spürte, daß das Rätsel sich mir dort lösen werde. Als Wassin mir Lebewohl sagte, bedankte er sich noch einmal bei mir.

II
     
    Der alte Fürst saß vor dem Kamin, die Beine mit einer Decke umwickelt. Er empfing mich mit einem fragenden Blick, als wundere er sich darüber, daß ich gekommen war, während er doch selbst fast alle Tage zu mir geschickt hatte, ich möchte kommen. Im übrigen begrüßte er mich freundlich, antwortete aber auf meine ersten Fragen etwas mißmutig und zerstreut. Ab und zu schien er über etwas nachzudenken und blickte mich unverwandt an, als hätte er etwas, was sich jedenfalls auf mich bezog, vergessen und suchte sich nun daran zu erinnern. Ich sagte ihm geradeheraus, daß ich schon alles gehört hätte und mich sehr darüber freute. Sogleich erschien ein freundliches, gutherziges Lächeln auf seinen Lippen, und er wurde lebhafter; seineVorsicht und sein Mißtrauen waren mit einem Schlag verschwunden, wie wenn er sie ganz vergessen hätte. Und er hatte sie natürlich auch vergessen.
    »Mein lieber Freund, das habe ich ja doch gewußt, daß du der erste sein würdest, der zu mir käme, und weißt du, noch gestern habe ich bei mir gedacht: »Wer wird sich darüber freuen? Er wird sich darüber freuen.« Na, sonst wird es niemand weiter tun, aber das schadet auch nichts. Die Leute haben böse Zungen, aber das ist ja ganz gleichgültig ... Cher enfant, all das ist so großartig und so reizend ... Aber du kennst sie ja selbst recht gut. Und von dir hat Anna Andrejewna sogar eine sehr hohe Meinung. Sie hat das ernste, reizvolle Gesicht eines englischen Stahlstichs. Das ist der reizendste englische Stich, den es nur geben kann ... Vor zwei Jahren hatte ich eine ganze Sammlung solcher Stiche ... Ich habe immer diese Absicht gehabt, immer; ich wundere mich nur darüber, daß ich nie daran gedacht habe.«
    »Sie haben, soviel ich mich erinnere, Anna Andrejewna von jeher sehr liebgehabt und sie besonders bevorzugt.«
    »Mein Freund, wir wollen niemandem Schaden zufügen. Das Leben mit Freunden, mit Verwandten, mit Menschen, die unserm Herzen nahestehen, ist ein Paradies. Wir haben alle etwas von einem Dichter an uns ... Kurz, das ist schon seit den Urzeiten bekannt. Weißt du, wir wollen im Sommer zuerst nach Soden gehen und dann nach Badgastein. Aber du bist ja so lange nicht hier gewesen, mein Freund, was ist denn das mit dir? Ich habe auf dich gewartet. Und nicht wahr, wie vieles, vieles hat sich seitdem ereignet! Schade nur, daß ich eine solche Unruhe habe; sowie ich allein bin, werde ich unruhig. Darum darf ich auch gar nicht allein bleiben, nicht wahr? Das ist doch so klar wie zweimal zwei vier. Das habe ich sofort eingesehen, gleich bei den ersten Worten, die sie sprach. Oh, mein Freund, sie hat mir nur ganz wenige Worte gesagt, aber die ... die waren wie das herrlichste Gedicht. Aber du bist ja ihr Bruder, beinahe ihr Bruder, nicht wahr? Mein Lieber, es hat schon seinen Grund, daß ich dich so liebgewonnen habe! Ich versichere dir, ich habe das alles vorausgeahnt. Ich küßte ihr die Hand und fing an zu weinen.«
    Er zog das Taschentuch

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