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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Mitteilung gemacht hatte. Da ich mir vorgenommen hatte zu schweigen, so richtete ich an ihn in sehr trockenem Ton nur zwei oder drei ganz kurze Fragen; erantwortete darauf klar und bestimmt, aber ohne alle überflüssigen Worte und, was das beste war, ohne überflüssige Gefühlsäußerungen. Vor solchen überflüssigen Gefühlsäußerungen hatte ich damals Angst.
    Über Lambert schweige ich, aber der Leser hat gewiß schon erraten, daß ich sehr viel an ihn dachte. In meinen Fieberphantasien hatte ich mehrmals von Lambert gesprochen; aber als ich wieder zu mir gekommen war und mich zu orientieren suchte, gelangte ich bald zu dem Schluß, daß die Sache mit Lambert ein Geheimnis geblieben war und sie, Wersilow eingeschlossen, nichts davon wußten. Damals freute ich mich darüber, und meine Furcht verging, aber wie ich später zu meiner Verwunderung erfuhr, hatte ich mich geirrt: er war schon während meiner Krankheit gekommen, um sich nach mir zu erkundigen, aber Wersilow hatte mir nichts davon gesagt, und ich hatte daraus geschlossen, daß ich für Lambert bereits in die Ewigkeit hinübergegangen sei. Nichtsdestoweniger dachte ich häufig an ihn; ja noch mehr: ich dachte an ihn nicht nur ohne Widerwillen, nicht nur mit einem gewissen Interesse, sondern sogar mit Sympathie, als ahnte ich da etwas Neues, einen Ausweg, etwas, was den neuen in mir keimenden Gefühlen und Plänen entsprach. Kurz, ich nahm mir vor, sobald ich wieder anfangen würde zu denken, vor allen Dingen über Lambert ernstliche Erwägungen anzustellen. Beiläufig erwähne ich etwas Sonderbares: ich hatte vollständig vergessen, wo er wohnte und in welcher Straße sich das alles damals zugetragen hatte. Das Zimmer, Alfonsina, das Hündchen, den Flur, das alles hatte ich in Erinnerung, so daß ich es gleich hätte zeichnen können, aber wo sich das alles zugetragen hatte, das heißt in welcher Straße und in welchem Hause, das hatte ich vollständig vergessen. Und was das allersonderbarste war, ich merkte das erst drei oder vier Tage, nachdem ich wieder zu vollem Bewußtsein gelangt war, als ich schon längst angefangen hatte, mich in Gedanken mit Lambert zu beschäftigen.
    Das waren also meine ersten Empfindungen nach meinem Wiedererwachen. Ich habe hier nur das am meisten auf der Oberfläche Liegende notiert, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ich es nicht verstanden habe, das aufzuzeichnen, wasdas wichtigste war. In der Tat wird vielleicht alles Wichtige gerade damals in meinem Herzen eine bestimmte Gestalt und feste Form angenommen haben; ich habe doch nicht die ganze Zeit damit ausgefüllt, mich zu ärgern und zu bösen, daß man mir meine Bouillon nicht brachte. Oh, ich erinnere mich, wie traurig ich damals manchmal war und wie ich mich mitunter grämte, namentlich wenn ich längere Zeit allein blieb. Meine Angehörigen aber hatten wie absichtlich bald gemerkt, daß das Zusammensein mit ihnen mir peinlich war und die Äußerungen ihrer Teilnahme mich nervös machten, und ließen mich daher immer öfter allein: eine gar zu weit gehende ahnungsvolle Rücksichtnahme.

II
     
    Am vierten Tag, nachdem ich das Bewußtsein wiedererlangt hatte, lag ich zwischen zwei und drei Uhr nachmittags auf meinem Bett, und niemand war bei mir. Es war ein klarer Tag, und ich wußte, daß zwischen drei und vier, wenn die Sonne sich zum Untergang neigte, ein schräger, roter Strahl derselben gerade in den Winkel der Wand, an der ich lag, fallen und diese Stelle mit einem hellen Lichtfleck erleuchten würde. Ich wußte das von den vorhergehenden Tagen, und der Gedanke, daß das unfehlbar in einer Stunde geschehen würde, und vor allem der Umstand, daß ich es mit mathematischer Sicherheit voraus wußte, dies ärgerte mich so, daß ich geradezu wütend wurde. Ich drehte mich krampfhaft mit dem ganzen Leib herum, und auf einmal hörte ich mitten in der tiefen Stille deutlich die Worte: »Herr Jesus Christus, du unser Gott, erbarme dich unser!« Diese Worte wurden halblaut geflüstert, darauf folgte ein tiefer Seufzer aus voller Brust, und dann wurde alles wieder vollkommen still. Ich hob schnell den Kopf.
    Ich hatte schon früher, das heißt am vorhergehenden und sogar schon am drittletzten Tag, wahrgenommen, daß in unseren unten gelegenen drei Zimmern etwas Besonderes vorging. In dem Zimmerchen auf der anderen Seite der Wohnstube, das früher Mamas und Lisas Schlafzimmer gewesen war, hauste jetzt offenbar jemand anders. Ich hatteschon mehrmals allerlei Geräusche

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