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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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stehen«, sagte er zu mir und wies mit freundlicher Einladung auf einen Platz neben sich; dabei fuhr er fort, mir mit demselben leuchtenden Blick ins Gesicht zu sehen. Ich setzte mich neben ihn und erwiderte:
    »Ich kenne Sie, Sie sind Makar Iwanowitsch.«
    »Jawohl, mein Lieber. Nun, das ist ja schön, daß du wieder aufgestanden bist. Du bist ein junger Mensch; da hast du es gut. Ein alter Mann muß ins Grab, aber ein junger Mensch soll leben.«
    »Sind Sie denn krank?«
    »Ja, ich bin krank, Freund, besonders an den Füßen; bis zur Schwelle haben sie mich noch getragen, aber sowie ich mich hier hingesetzt hatte, sind sie angeschwollen. Das habe ich seit dem vorigen Donnerstag, als solche Grade wurden« (er meinte: als die Kälte eintrat). »Ich habe sie mir bisher immer mit einer Salbe eingerieben, siehst du, die hat mir vor zwei Jahren Lichten, ein Doktor, Edmund Karlytsch, in Moskau verschrieben, und die Salbe hat mir auch geholfen, sehr gut hat sie mir geholfen; na, aber jetzt hilft sie nicht mehr. Ja, und die Brust ist mir auch dick geworden. Und seit gestern tut mir auch der Rücken weh, als ob mich die Hunde beißen ... nachts kann ich auch nicht schlafen.«
    »Wie kommt es denn, daß Sie hier so gar nicht zu hören sind?« unterbrach ich ihn. Er sah mich an, als ob er über etwas nachdächte.
    »Weck nur deine Mutter nicht auf!« fügte er hinzu, wie wenn ihm plötzlich etwas einfiele. »Sie ist hier nebenan die ganze Nacht über tätig gewesen, ganz leise und unhörbar wie eine Fliege; jetzt aber hat sie sich, soviel ich weiß, hingelegt. Ach, so ein kranker, alter Mann hat es recht schlecht«, fuhr er mit einem Seufzer fort. »Woran sich nur die Seele immer noch so klammert und hält, und immer freut sie sich noch am Licht; und ich glaube, wenn sie das ganze Leben noch einmal von vorn anfangen könnte, so würde sich die Seele vielleicht auch davor nicht fürchten; obwohl ein solcher Gedanke möglicherweise sündhaft ist.«
    »Wieso sündhaft?«
    »Dieser Gedanke ist ein Luftschloß, ein alter Mann aber muß gern und willig davongehen. Wenn man aber dem Tod mit Murren und Unzufriedenheit entgegensieht, so ist das eine große Sünde. Na, aber wenn jemand in seelischer Heiterkeit das Leben liebgewonnen hat, dann, denke ich mir, wird Gott ihm das verzeihen, selbst einem alten Mann. Es ist schwer für einen Menschen, von jeder Sünde zu wissen, was sündig ist und was nicht: es ist da ein Geheimnis, das über den Menschenverstand hinausgeht. Ein alter Mann aber muß zu jeder Zeit zufrieden sein und muß in der vollen Blüte seines Verstandes sterben, selig und willig, von seinen Lebenstagen gesättigt, seinem letzten Stündlein entgegenseufzend und sich freuend, dahingehend wie eine Ähre zur Garbe, nachdem er sein Geheimnis erfüllt hat.«
    »Sie reden immer von einem Geheimnis; was heißt denn das: »sein Geheimnis erfüllen«?« fragte ich und sah mich dabei nach der Tür um. Ich freute mich darüber, daß wir beide allein waren und ringsum tiefe Stille herrschte. Die Sonne schien vor ihrem Untergang hell ins Fenster herein. Er sprach etwas schwülstig und unklar, aber im Ton innerer Überzeugung und mit großer Lebhaftigkeit, als freue er sich wirklich über mein Kommen. Aber ich bemerkte, daß er sich zweifellos in einem fieberhaften Zustand befand, und zwar sogar in einem recht schlimmen. Ich war ebenfalls krank, ich fieberte ebenfalls von dem Augenblick an, wo ich zu ihm hereingekommen war.
    »Worin das Geheimnis besteht? Alles ist ein Geheimnis, mein Freund, in allem liegt ein göttliches Geheimnis. In jedem Baum, in jedem Gräschen ist dieses selbe Geheimnis eingeschlossen. Ob nun ein kleines Vögelchen singt oder die Sterne in ihren ganzen Scharen bei Nacht am Himmel glänzen, alles ist dieses eine, gleiche Geheimnis. Das allergrößte Geheimnis aber besteht in dem, was der Seele des Menschen in jener Welt harrt. Ja, so ist das, Freund!«
    »Ich weiß nicht, in welchem Sinne Sie ... Ich sage das natürlich nicht, um mich über Sie lustig zu machen, und Sie können überzeugt sein, daß ich an Gott glaube; aber alle diese Geheimnisse sind doch durch den Verstand schon längst aufgedeckt worden, und was nicht aufgedeckt wordenist, das wird alles aufgedeckt werden, ganz bestimmt und vielleicht in ganz kurzer Zeit. Die Botanik weiß genau, wie der Baum wächst; der Physiologe und der Anatom wissen sogar, warum der Vogel singt, oder sie werden es bald in Erfahrung bringen, und was die Sterne anlangt, so

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