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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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sind sie nicht nur alle gezählt, sondern auch jede ihrer Bewegungen ist auf die Minute genau ausgerechnet, so daß man die Erscheinung eines Kometen vorhersagen kann, sogar tausend Jahre vorher, auf die Minute ... und jetzt ist sogar die Zusammensetzung der fernsten Sterne bekannt geworden. Nehmen Sie ein Mikroskop – das ist so ein Vergrößerungsglas, das die Gegenstände millionenfach vergrößert –, und betrachten Sie unter ihm einen Wassertropfen, und Sie werden dort eine ganze neue Welt erblicken, ein vollständiges Gewimmel lebender Wesen, und dabei war auch das ein Geheimnis, aber es ist aufgedeckt worden.«
    »Ich habe davon gehört, mein Teuerster; die Leute haben mir wiederholt davon erzählt. Es ist nicht zu leugnen: das ist eine große, herrliche Sache; alles ist dem Menschen nach Gottes Willen verliehen, nicht umsonst hat ihm Gott den Lebensatem eingehaucht: »Lebe und erkenne!««
    »Nun, das sind Gemeinplätze. Aber Sie sind kein Feind der Wissenschaft, kein Klerikaler? Das heißt, ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen ...«
    »Nein, mein Teuerster, ich habe die Wissenschaft von klein auf geachtet, und obwohl ich selbst unwissend bin, so murre ich doch nicht darüber; ist es mir selbst nicht zuteil geworden, so doch einem andern. Es ist vielleicht insofern auch besser so, weil ein jeder das Seine haben muß. Denn, lieber Freund, nicht einem jeden ist die Wissenschaft von Nutzen. Alle sind maßlos, jeder möchte die ganze Welt in Erstaunen versetzen, und ich würde vielleicht einer der Schlimmsten sein, wenn ich ein Gelehrter wäre. So aber, da ich ganz und gar kein Gelehrter bin, wie kann ich mich da überheben, wenn ich doch selbst nichts weiß? Du aber bist jung und scharfsinnig, und das ist dir als dein Anteil zugefallen, du studiere nur! Erkenne alles, damit, wenn du auf einen Gottlosen oder Frechling stößt, du ihm antworten kannst und er dich mit seinem törichten Gerede nicht mundtot macht und deine unreifen Gedanken in Verwirrungbringt. So ein Glas aber habe ich noch vor nicht allzu langer Zeit gesehen.«
    Er holte tief Atem und seufzte. Ich hatte ihm durch mein Kommen entschieden das größte Vergnügen bereitet. Sein Mitteilungsdrang hatte etwas Krankhaftes. Außerdem irre ich mich sicherlich nicht, wenn ich behaupte, daß er mich manchmal ganz besonders liebevoll ansah: er legte seine Hand freundlich auf die meinige, klopfte mir auf die Schulter ... na, aber manchmal, muß ich gestehen, schien er mich auch wieder vollständig zu vergessen, als ob er allein im Zimmer säße, und redete zwar eifrig weiter, aber sozusagen in die leere Luft.
    »Mein Freund«, fuhr er fort, »da lebt in dem kleinen Gennadij-Kloster ein Mann von großem Verstand. Er ist von vornehmer Herkunft und seinem Rang nach Oberstleutnant und besitzt großen Reichtum. Als er noch in der Welt lebte, wollte er sich nicht durch die Ehe binden; jetzt ist es schon das zehnte Jahr, daß er sich von der Welt zurückgezogen hat; er hat den stillen, schweigsamen Zufluchtsort liebgewonnen, sein Denken von der weltlichen Eitelkeit abgewandt und Ruhe der Seele gewonnen. Er hält die Mönchsregeln vollständig inne, will aber nicht Mönch werden. Und Bücher, mein Freund, besitzt er so viele, wie ich noch bei keinem andern Menschen gesehen habe; er hat mir selbst gesagt, es seien für achttausend Rubel. Pjotr Walerjanytsch heißt er. Er hat mich zu verschiedenen Zeiten vieles gelehrt, und ich hörte ihm immer außerordentlich gern zu. Da sagte ich einmal zu ihm: »Wie kommt es, Herr, daß Sie bei Ihrem großen Verstand, und da Sie doch schon zehn Jahre lang in mönchischem Gehorsam und in vollständiger Abtötung Ihres Willens leben, wie kommt es, daß Sie da nicht das Mönchsgelübde ablegen, um auf diese Art zu noch größerer Vollkommenheit zu gelangen?« Er aber erwiderte mir darauf: »Was redest du da von meinem Verstand, Alter; vielleicht hat mein Verstand mich in Fesseln geschlagen, und nicht ich habe ihn zur Besonnenheit gebracht. Und was sprichst du von meinem Gehorsam; vielleicht habe ich schon längst verlernt, mich im Zaum zu halten. Und was schwatzt du von der Abtötung meines Willens? Auf mein Geld würde ich sofort verzichten und meinem Rang entsagenund die ganze Kavallerie sogleich da auf den Tisch legen, aber von meiner Pfeife Tabak kann ich nicht lassen, obwohl ich schon zehn Jahre lang mit mir selbst im Kampf liege. Was würde ich also für ein Mönch sein, und wie kannst du mich wegen der Abtötung meines

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