Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
sich unpraktische Leute alles nur so ausgedacht. Und in meinem Verhalten ihr gegenüber liegt keine Herabwürdigung; würdige ich sie etwa herab? Durchaus nicht: alle Weiber sind so! Gibt es etwa ein Weib, das von Gemeinheit frei wäre? Eben darum muß das Weib den Mann über sich haben, eben darum ist das Weib als ein untergeordnetes Wesen erschaffen. Das Weib ist Laster und Verführung, der Mann Edelsinn und Hochherzigkeit. So wird das in alle Ewigkeit bleiben. Und daß ich vorhabe, das Schriftstück auszunutzen, das ist nichts Schlimmes. Das hindert mich nicht, edel und hochherzig zu sein. Menschen mit vollkommen reiner Moral in der Art Schillers gibt es nicht; das sind nur Erfindungen der Phantasie. Es macht nichts aus, wenn auch etwas Schmutz dabei ist, wenn nur das Ziel ein erhabenes ist! Das kann später alles abgewaschen, alles wieder gutgemacht werden. Jetzt aber ist das nur Großzügigkeit, nur echtes Leben, nur Lebenswahrheit – so nennt man das jetzt!‹
    Oh, ich wiederhole es: man möge es mir verzeihen, daß ich all die irren Gedanken, die mir damals in der Trunkenheit kamen, bis auf das letzte Strichelchen hierhersetze. Das Obige ist allerdings nur die Quintessenz meiner damaligen Gedanken, aber ich glaube, ich habe sie mit diesen selben Worten gedacht. Ich mußte sie anführen, weil ich mich zum Schreiben hingesetzt habe, um über mich Gericht zu halten. Und was verdient mehr das Urteil als dies? Kann es denn im Leben etwas Ernsthafteres geben? Der Wein konnte jedenfalls nicht zu meiner Rechtfertigung dienen. In vino veritas.
    Mit solchen phantastischen Träumereien beschäftigt und ganz darin versunken, hatte ich gar nicht bemerkt, daß ich endlich nach Hause gekommen war, das heißt zu Mamas Wohnung. Ich bemerkte es auch dann noch nicht einmal, als ich in die Wohnung hineinging; aber kaum war ich in unserwinziges Vorzimmer eingetreten, als ich sofort begriff, daß bei uns etwas Ungewöhnliches vorgegangen war. In den Zimmern wurde laut gesprochen und aufgeschrien, und es war zu hören, daß Mama weinte. In der Tür rannte mich beinahe Lukenja um, die hastig von Makar Iwanowitschs Zimmer nach der Küche lief. Ich warf meinen Pelz ab und ging zu Makar Iwanowitsch hinein, weil dort alle versammelt waren.
    Dort standen Wersilow und Mama. Mama lag in seinen Armen, und er drückte sie fest an sein Herz. Makar Iwanowitsch saß wie gewöhnlich auf seiner Fußbank, schien aber ganz kraftlos zu sein, so daß Lisa ihn mit Anstrengung an der Schulter halten mußte, damit er nicht umfiel; und es war sogar deutlich, daß er immer mehr zur Seite sank und zu fallen drohte. Ich trat eilig näher heran und erriet zusammenzuckend, was geschehen war: der alte Mann war tot.
    Er war soeben gestorben, etwa eine Minute vor meiner Ankunft. Zehn Minuten vorher hatte er sich noch gefühlt wie immer. Nur Lisa war bei ihm gewesen: sie hatte bei ihm gesessen und ihm von ihrem Kummer erzählt, und er hatte ihr wie am vorhergehenden Tag den Kopf gestreichelt. Auf einmal hatte er angefangen, am ganzen Leib zu zittern (so erzählte Lisa), hatte versucht aufzustehen, hatte schreien wollen und hatte sich schweigend auf die linke Seite geneigt. »Ein Herzschlag!« sagte Wersilow. Lisa hatte aufgeschrien, so daß man es durch das ganze Haus hörte, und da waren sie alle zusammengelaufen, und das alles war nur ungefähr eine Minute vor meiner Ankunft geschehen.
    »Arkadij!« rief mir Wersilow zu, »lauf gleich zu Tatjana Pawlowna. Sie ist bestimmt zu Hause. Sage ihr, sie möchte sofort herkommen! Nimm eine Droschke! Schnell, schnell, ich bitte dich dringend!«
    Seine Augen funkelten – ich erinnere mich daran deutlich. In seinem Gesicht bemerkte ich nichts, was wie Mitleid ausgesehen hätte, und keine Tränen; es weinten nur Mama, Lisa und Lukerja. Vielmehr – auch das ist mir genau in Erinnerung – prägte sich auf seinem Gesicht der Ausdruck einer ungewöhnlichen Erregung, beinahe des Entzückens aus. Ich lief davon, um Tatjana Pawlowna zu holen.
    Der Weg zu ihr war, wie aus dem früheren bekannt ist,nicht weit. Ich nahm keine Droschke, sondern lief die ganze Strecke ohne Unterbrechung. In meinem Kopf herrschte Verwirrung, und es war dort sogar ebenfalls beinahe eine Art von Entzücken vorhanden. Ich begriff, daß etwas Entscheidendes geschehen war. Die Trunkenheit und mit ihr zugleich auch alle unedlen Gedanken waren bis auf die letzte Spur von mir gewichen, als ich bei Tatjana Pawlowna klingelte.
    Die Finnin öffnete. »Nicht zu

Weitere Kostenlose Bücher