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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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einem Wort noch mit einer Andeutung, sich erlaubt hatte, in seiner Gegenwart etwas Nachteiliges über Anna Andrejewna zu äußern oder gegen seine Absicht einer Verehelichung mit ihr irgendwelche Einwendungen zu machen, beruhigte ihn einstweilen noch und hielt ihn zurück. Vielmehr legte sie die größte Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit gegenüber der Braut ihres Vaters an den Tag. Auf diese Weise kam Anna Andrejewna in eine sehr heikle Lage, da sie mit ihrem weiblichen Spürsinn sehr wohl begriff, daß sie durch die geringste Anklage gegen Katerina Nikolajewna, die der Fürst ebenfalls vergötterte, und jetzt sogar noch mehr als sonst, und namentlich weil sie so hochherzig und respektvoll in seine Heirat eingewilligt hatte, daß sie durch die geringste Anklage gegen jene alle seine zärtlichen Gefühle beleidigen und in seinem Herzen Mißtrauen gegen ihre eigene Person, ja vielleicht sogar Entrüstung wecken würde. In solcher Weise also ging auf diesem Schlachtfeld der Kampf einstweilen vor sich: die beiden Gegnerinnen wetteiferten gleichsam miteinander in Zartgefühl und Geduld, und der Fürst wußte am Ende nicht mehr, über welche von ihnen er sich mehr wundern sollte, und nach Art aller schwachen, gutherzigen Menschen begann er schließlich unter diesem Zustand zu leiden und allein sich selbst die Schuld an allem beizumessen. Seine Melancholie soll geradezu krankhaft geworden sein; seine Nerven gerieten in völlige Zerrüttung, und statt daß sich in Zarskoje Selo sein Gesundheitszustand gebessert hätte, war der Fürst, wie man erzählte, schon nahe daran, bettlägerig zu werden.
    Ich schalte hier etwas ein, was ich erst sehr lange nachher erfahren habe: Bjoring soll Katerina Nikolajewnadirekt den Vorschlag gemacht haben, den alten Herrn ins Ausland zu schaffen, wozu er durch irgendeine Täuschung willig gemacht werden müsse; inzwischen müsse man in der Gesellschaft unterderhand die Nachricht in Umlauf setzen, daß er vollständig den Verstand verloren habe; im Ausland müsse man sich dann ein ärztliches Attest darüber beschaffen. Aber dazu soll Katerina Nikolajewna um keinen Preis bereit gewesen sein; wenigstens wurde das später behauptet. Sie soll diesen Plan voll Empörung zurückgewiesen haben. Alles das ist nur ein ganz unverbürgtes Gerücht, aber ich halte es für wahr.
    Und gerade da, als die Sache sozusagen auf dem toten Punkt angelangt war, erfuhr Anna Andrejewna auf einmal durch Lambert von der Existenz eines Briefes, in welchem die Tochter des Fürsten bereits einen Juristen über die Mittel befragt habe, den Vater für irrsinnig erklären zu lassen. Das regte ihren rachsüchtigen, stolzen Geist im höchsten Grade auf. Wenn sie an ihre früheren Gespräche mit mir zurückdachte und eine Menge geringfügiger Umstände in Erwägung zog, so konnte sie an der Wahrheit dieser Mitteilung nicht zweifeln. Da reifte in diesem energischen, unbeugsamen Frauenherzen unwiderstehlich der Plan heran, einen großen Schlag zu führen. Der Plan bestand darin, plötzlich, ohne alle Einleitungen und Vorbereitungen, dem Fürsten alles mitzuteilen, ihn zu erschrecken, ihn aufs tiefste zu erschüttern, ihm darzulegen, daß ihn unvermeidlich das Irrenhaus erwarte, und, falls er sich sträubte und unwillig würde und es nicht glauben wollte, dann ihm den Brief seiner Tochter zu zeigen und ihm zu sagen: »Die Absicht, Sie für irrsinnig erklären zu lassen, hat schon einmal bestanden; um so wahrscheinlicher ist sie jetzt, wo Ihre Ehe verhindert werden soll.« Dann wollte sie den erschrockenen, niedergeschmetterten alten Herrn nehmen und nach Petersburg bringen, direkt in meine Wohnung!
    Das war ein furchtbares Risiko, aber sie vertraute fest auf ihre Macht. Hier möchte ich einen Augenblick von dem Gang der Erzählung abschweifen und, sehr weit vorgreifend, mitteilen, daß sie sich über die Wirkung des von ihr geführten Schlages nicht getäuscht hatte; ja, die Wirkungübertraf sogar alle ihre Erwartungen. Die Nachricht von diesem Brief wirkte auf den alten Fürsten wohl noch viel stärker, als sie selbst und wir alle angenommen hatten. Ich hatte vorher nie gewußt, daß dem Fürsten schon früher etwas von diesem Brief bekannt gewesen war; aber nach der Gewohnheit aller schwachen, schüchternen Menschen hatte er dem Gerücht keinen Glauben geschenkt und sich dagegen mit aller Kraft gewehrt, um in seiner Ruhe nicht gestört zu werden; ja, er hatte sich wegen seiner Leichtgläubigkeit einer unedlen Denkweise

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