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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wollte mir um den Hals fallen; die Tränen liefen ihm über das Gesicht; ich kann gar nicht beschreiben, wie schmerzhaft sich mir das Herz zusammenzog: der arme alte Mann hatte die größte Ähnlichkeit mit einem hilflosen, schwachen, verängstigten kleinen Kind, das Zigeuner aus dem Elternhaus gestohlen und zu fremden Leuten gebracht haben. Aber wir kamen nicht mehr dazu, uns zu umarmen; die Tür öffnete sich, und Anna Andrejewna trat ein, aber nicht mit dem Wirt, sondern mit ihrem Bruder, dem Kammerjunker. Bei diesem unerwarteten Anblick fühlte ich mich wie vor den Kopf geschlagen; ich stand auf und ging nach der Tür.
    »Arkadij Makarowitsch, gestatten Sie, daß ich Sie bekannt mache!« sagte Anna Andrejewna laut, so daß ich unwillkürlich stehenbleiben mußte.
    »Ich kenne Ihren Bruder bereits nur zu gut «, sagte ich nachdrücklich und mit besonderer Betonung der Worte »nur zu gut«.
    »Ach, das war ein schrecklicher Irrtum! Und ich bittevielmals um Entschuldigung, lieber And ... Andrej Makarowitsch«, sagte der junge Mensch langsam mit Kaubewegungen, trat mit höchst ungezwungener Miene auf mich zu und ergriff meine Hand, die ich nicht imstande war ihm zu entziehen. »An allem ist mein Stepan schuld; er hat Sie mir damals so dumm gemeldet, daß ich Sie für einen andern hielt – das war in Moskau«, fügte er zur Erklärung für seine Schwester hinzu. »Nachher habe ich mir die größte Mühe gegeben, Sie ausfindig zu machen, um die Sache klarzustellen, aber ich wurde krank, Sie können meine Schwester fragen. Cher prince, nous devons être amis même par droit de naissance ...«
    Und der dreiste junge Mensch erkühnte sich sogar, den einen Arm um meine Schulter zu legen, was denn doch der Gipfel zudringlicher Familiarität war. Ich machte mich los, zog es aber in meiner Verlegenheit vor, schnellstens, ohne ein Wort zu sagen, hinauszugehen. Als ich in mein Zimmer gekommen war, setzte ich mich voll aufgeregter Gedanken auf mein Bett. Diese Intrige flößte mir Abscheu ein, aber ich konnte Anna Andrejewna nicht so einfach zurückstoßen und mich von ihr lossagen. Ich fühlte auf einmal, daß ich auch sie in mein Herz geschlossen hatte und daß sie sich in einer schrecklichen Lage befand.

III
     
    Wie ich es erwartet hatte, kam sie selbst in mein Zimmer und ließ den Fürsten in der Gesellschaft ihres Bruders, der dem Fürsten allerlei ganz neue, eben erst in Umlauf gekommene Klatschgeschichten aus der vornehmen Gesellschaft zu erzählen begann und dadurch sofort das Interesse des leicht beeinflußbaren alten Mannes erregte und ihn erheiterte. Ich erhob mich schweigend und mit fragender Miene vom Bett.
    »Ich habe Ihnen alles gesagt, Arkadij Makarowitsch«, begann sie ohne Umschweife, »unser Schicksal liegt in Ihren Händen.«
    »Aber ich habe Ihnen doch bereits gesagt, daß ich außerstande bin ... Die heiligsten Verpflichtungen hindern mich, das zu tun, worauf Sie rechnen ...«
    »Wirklich? Das ist Ihre Antwort? Nun, mag ich immerhin zugrunde gehen, aber der alte Mann? Wie stellen Sie sich den weiteren Verlauf vor: er wird ja heute abend den Verstand verlieren!«
    »Nein, er wird den Verstand verlieren, wenn ich ihm den Brief seiner Tochter zeige, in welchem diese einen Rechtsanwalt um Rat fragt, wie sie ihren Vater für irrsinnig erklären lassen könne!« rief ich aufgeregt. »Das ist es, was er nicht ertragen würde. Ich kann Ihnen versichern, daß er an diesen Brief nicht glaubt; er hat es mir schon gesagt.«
    Ich log das hinzu, daß er mir so etwas gesagt hätte, aber das geschah aus gutem Grund.
    »Hat er Ihnen das schon gesagt? Das hatte ich mir doch gedacht! Dann bin ich verloren; er hat auch schon geweint und nach Hause verlangt.«
    »Teilen Sie mir doch mit, worin denn eigentlich Ihr Plan besteht?« fragte ich nachdrücklich. Sie errötete, sozusagen aus verwundetem Hochmut, aber sie nahm sich zusammen und antwortete:
    »Mit diesem Brief seiner Tochter in der Hand stehen wir in den Augen der Welt gerechtfertigt da. Ich werde sogleich zum Fürsten W. und zu Boris Michailowitsch Pelischtschew, seinen Jugendfreunden, schicken; beide sind in der guten Gesellschaft angesehene, einflußreiche Persönlichkeiten, und ich weiß, daß sie schon vor zwei Jahren über gewisse Handlungen seiner erbarmungslosen, habgierigen Tochter entrüstet waren. Sie werden ihn natürlich mit seiner Tochter versöhnen, auf meine Bitte hin, darauf werde ich selbst bestehen; aber dennoch wird die Lage der Dinge vollständig

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