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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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hinzugehen und Anna Andrejewna sofort zu einer Unterredung zu mir zu bitten. Sind die Herrschaften schon lange hier?«
    »Es wird schon fast eine Stunde sein.«
    »Also gehen Sie hin!«
    Er ging und kam mit der eigentümlichen Antwort zurück, Anna Andrejewna und Fürst Nikolai Iwanowitsch erwarteten mich bei sich mit Ungeduld; Anna Andrejewna wollte also nicht zu mir kommen. Ich brachte meinen in der Nacht arg zerdrückten Rock in Ordnung und bürstete ihn, wusch und kämmte mich, alles ohne Eile; dann begab ich mich in der vollen Erkenntnis, daß ich vorsichtig sein müsse, zu dem alten Herrn.
    Der Fürst saß auf dem Sofa an einem runden Tisch; Anna Andrejewna aber war in einer anderen Ecke an einem andern, mit einem Tischtuch bedeckten Tisch, auf dem der wie noch nie zuvor blankgeputzte Samowar der Wirtsleute brodelte, damit beschäftigt, Tee für ihn zu machen. Ich trat mit derselben strengen Miene ein, und der Alte, der dies augenblicklich bemerkte, fuhr heftig zusammen; das Lächeln auf seinem Gesicht wurde schnell durch einen Ausdruck von Angst abgelöst; aber da konnte ich mich auch schon nicht mehr beherrschen, brach in ein Gelächter aus und streckte ihm die Hände entgegen; der Ärmste warf sich nur so in meine Arme.
    Natürlich sah ich auf den ersten Blick, mit wem ich es zu tun hatte. Erstens wurde es mir so klar wie zwei mal zwei vier ist, daß man aus dem alten Mann, der vorher beinahe noch eine gewisse Frische und immerhin wenigstens etwas Verstand sowie ein wenig Charakterfestigkeit besessenhatte, in der Zeit, wo ich mit ihm nicht in Berührung gekommen war, eine Art Mumie, ein ängstliches, mißtrauisches Kind gemacht hatte. Ich füge hinzu: er wußte vollkommen, weshalb er dorthin gebracht worden war, und alles hatte sich genau so abgespielt, wie ich es im voraus oben dargelegt habe. Man hatte ihn ohne alle Umstände mit der Nachricht von dem Verrat seiner Tochter und dem ihm drohenden Irrenhaus überrascht, ihn betäubt, niedergeschmettert. Er hatte sich wegbringen lassen, ohne vor lauter Angst recht zu wissen, was er tat. Ihm war gesagt worden, ich sei im Besitz eines Geheimnisses und hätte den Schlüssel zur definitiven Lösung. Ich will gleich im voraus sagen: gerade diese definitive Lösung und diesen Schlüssel fürchtete er über alles. Er hatte erwartet, daß ich mit einer Art Todesurteil auf der Stirn und einem Blatt Papier in der Hand zu ihm hereinkommen würde, und freute sich gewaltig, daß ich einstweilen noch Lust hatte, zu lachen und von ganz anderen Dingen zu plaudern. Als wir uns umarmten, brach er in Tränen aus. Ich muß bekennen, daß auch ich ein bißchen weinte; er tat mir auf einmal sehr leid ... Alfonsinkas kleines Hündchen schlug ein Gebell an, das hell wie ein Glöckchen klang, sprang vom Sofa herunter und stürzte auf mich los. Von diesem winzigen Tierchen wollte der alte Fürst, seit er es erworben hatte, sich gar nicht mehr trennen und nahm es sogar mit ins Bett.
    »Oh, je disais, qu'il a du coeur!« rief er, auf mich weisend, Anna Andrejewna zu.
    »Aber wie Sie sich erholt haben, Fürst, wie nett und frisch und gesund Sie aussehen!« bemerkte ich. Ach, leider war ganz das Gegenteil der Fall: er war eine Mumie, und ich redete nur so, um ihn zu ermutigen.
    »N'est-ce pas, n'est-ce pas?« erwiderte er erfreut. »Oh, mein Befinden hat sich ganz erstaunlich gebessert.«
    »Aber trinken Sie doch Ihren Tee, und wenn Sie mir ein Täßchen abgeben, so trinke ich mit Ihnen zusammen.«
    »Wundervoll! ›Trinken wollen wir, ihr Freunde, und des Lebens uns erfreun‹, oder wie es da heißt, es gibt so ein Gedicht. Anna Andrejewna, geben Sie ihm Tee; il prend toujours par les sentiments ... geben Sie uns Tee, meine Liebe!«
    Anna Andrejewna reichte uns Tee, aber auf einmal wandte sie sich zu mir und begann mit großartiger Feierlichkeit:
    »Arkadij Makarowitsch, wir beide, ich und mein Wohltäter, Fürst Nikolai Iwanowitsch, sind zu Ihnen geflüchtet. Nach meiner Überzeugung sind Sie der einzige Mensch, zu dem wir kommen konnten, und nun bitten wir beide Sie um Asyl. Bedenken Sie, daß das ganze Schicksal dieses tugendhaften, edlen, tief gekränkten Mannes in Ihren Händen liegt. Wir erwarten die Entscheidung von Ihrem rechtschaffenen Herzen!«
    Aber sie konnte nicht zu Ende sprechen; der Fürst hatte einen furchtbaren Schreck bekommen und zitterte ordentlich vor Angst: »Après, après, n'est-ce pas? Chère amie!« bat er und hob die Hände zu ihr auf.
    Ich kann es gar nicht

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