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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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erschrak dermaßen und war zugleich aus irgendeinem Grunde derart empört, daß sich Anna Andrejewna genötigt sah, den Erzähler unverzüglichzu entfernen. Zum Glück kam dann das Mittagessen, das tags zuvor (durch Lambert und Alfonsinka) irgendwo in der Nähe eigens bei einem renommierten französischen Koch bestellt worden war, der zur Zeit keine Stelle hatte und eine Anstellung in einem aristokratischen Hause oder in einem Klub suchte. Das Mittagessen mit Champagner heiterte den alten Mann sehr auf: er aß tüchtig und machte viele Späßchen. Nach dem Mittagessen war ihm natürlich der Kopf schwer, und die Müdigkeit überkam ihn, und da er nach Tisch stets zu schlafen pflegte, machte ihm Anna Andrejewna das Bett zurecht. Bevor er einschlief, küßte er ihr immerzu die Hände und sagte, sie sei sein Paradies, seine Hoffnung, seine Huri, seine »goldene Blume« – kurz, er erging sich in den orientalischsten Ausdrücken. Endlich schlief er ein, und gerade um diese Zeit kam ich zurück.
    Anna Andrejewna kam eilig in mein Zimmer, trat mit gefalteten Händen vor mich hin und sagte, sie bäte mich flehentlich, nicht um ihretwillen, sondern um des Fürsten willen, nicht wegzugehen und, sobald er aufwache, zu ihm zu gehen. »Ohne Sie geht er zugrunde, er bekommt einen Schlaganfall; ich fürchte, daß er es nicht einmal mehr bis zur Nacht aushält...« Sie fügte hinzu, sie selbst habe unbedingt etwas zu erledigen und werde vielleicht sogar zwei Stunden fortbleiben müssen; sie übergebe also die Sorge für den Fürsten mir allein. Ich gab ihr bereitwilligst mein Wort darauf, bis zum Abend dazubleiben und, wenn der Fürst aufwachte, alles zu tun, was in meinen Kräften stand, um ihn zu zerstreuen.
    »Ich aber werde meine Pflicht erfüllen!« schloß sie in energischem Ton.
    Sie ging weg. Ich füge im voraus hinzu: sie machte sich selbst auf, um Lambert aufzusuchen; das war ihre letzte Hoffnung; außerdem begab sie sich noch zu ihrem Bruder und zu ihren Verwandten, den Fanariotows; man kann sich denken, in welcher Gemütsverfassung sie zurückkehren mußte.
    Der Fürst erwachte ungefähr eine Stunde, nachdem sie weggegangen war. Ich hörte durch die Wand sein Stöhnen und lief sogleich zu ihm; ich fand ihn auf dem Bett sitzend,im Schlafrock, aber er befand sich in einer solchen ängstlichen Aufregung über die Einsamkeit, das schwache Licht der einzigen Lampe und das fremde Zimmer, daß er bei meinem Eintritt zusammenfuhr, in die Höhe sprang und aufschrie. Ich stürzte zu ihm hin, und als er erkannte, daß ich es war, umarmte er mich mit Tränen der Freude.
    »Und mir war gesagt worden, du wärest in eine andere Wohnung gezogen, du hättest einen Schreck bekommen und wärest davongelaufen.«
    »Wer hat Ihnen denn das sagen können?«
    »Wer es mir gesagt hat? Siehst du, vielleicht habe ich es mir nur selbst ausgedacht; vielleicht hat es mir aber auch jemand gesagt. Denk dir nur, ich habe soeben geträumt, ein alter, bärtiger Mann mit einem Heiligenbild, mit einem in zwei Stücke zerbrochenen Heiligenbild käme herein und sagte auf einmal: ›So wird auch dein Leben zerbrochen werden!‹«
    »Ach, mein Gott, Sie haben gewiß schon von jemandem gehört, daß Wersilow gestern ein Heiligenbild zerbrochen hat?«
    »N'est-ce pas? Ich habe es gehört, ich habe es gehört! Ich habe es schon heute morgen von Darja Onissimowna gehört. Sie brachte meinen Koffer und das Hündchen her.«
    »Na, sehen Sie, und da haben Sie es nun geträumt.«
    »Nun, ganz gleich; und denk dir nur, dieser Alte drohte mir immer mit dem Finger. Wo ist denn Anna Andrejewna?«
    »Sie wird gleich wieder nach Hause kommen.«
    »Wo ist sie denn hingegangen? Hat sie sich auch davongemacht?« rief er voll Schmerz.
    »Nein, nein, sie wird gleich wieder hier sein und hat mich gebeten, Ihnen Gesellschaft zu leisten.«
    »Oui, sie soll wiederkommen. Also unser Andrej Petrowitsch hat den Verstand verloren, ›so plötzlich und so unversehens‹! Ich habe es ihm immer prophezeit, daß es mit ihm gerade ein solches Ende nehmen würde. Mein Freund, hör mal...«
    Er faßte mich mit der Hand am Rock und zog mich näher an sich heran.
    »Der Wirt«, flüsterte er mir zu, »der Wirt hat mir vorhinauf einmal Photographien hergebracht, garstige Photographien von Weibern, von lauter nackten Weibern in allerlei orientalischen Situationen, und er fing an, sie mir mit einem Vergrößerungsglas zu zeigen... Ich habe mir Zwang angetan, siehst du, und habe sie gelobt, aber

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