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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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dem Gymnasium war ich bis zur obersten Klasse immer einer der Ersten, und speziell in der Mathematik war ich sehr tüchtig. Man darf doch die praktische Erfahrung und die Straßenwissenschaft nicht in so sinnlosem Maße überschätzen, daß man mir unbedingt einen Mißerfolg prophezeit! So reden immer nur diejenigen, die niemals einen Versuch auf irgendeinem Gebiet unternommen, kein eigenes Leben angefangen, sondern immer nur auf ihrem vorhandenen Besitz vegetiert haben. »Einer hat sich die Nase zerschlagen, also wird es ein anderer unfehlbar auch tun.« Nein, ich werde mir nicht die Nase zerschlagen. Ich besitze Charakterfestigkeit und werde bei einiger Aufmerksamkeit alles lernen. Kann denn jemand glauben, daß man bei ununterbrochener Energie, bei ununterbrochener Achtsamkeit, bei ununterbrochener Überlegung und Berechnung, bei grenzenloser Tätigkeit und Lauferei nicht schließlich lernen sollte, wie man täglich zwanzig Kopeken Reingewinn erzielen kann? Die Hauptsache ist, ich habe beschlossen, es niemals auf den höchsten denkbaren Gewinn anzulegen, sondern immer ruhig zu bleiben. Späterhin, wenn ich schon tausend oder zweitausend Rubel erworben habe, dann werde ich natürlich ganz von selbst aufhören, den Faktor zu spielen und auf der Straße allerlei zu kaufen und wieder zu verkaufen. Natürlich kenne ich das Treiben an der Börse, das Aktienwesen und das Bankgeschäft und all dergleichen jetzt noch sehr wenig. Aber dafür ist es mir bekannt wie meine fünf Finger, daß ich alle diese Börsen- und Bankgeschäfte lernen werde und sie zur rechten Zeit ebenso gutverstehen werde wie ein anderer und daß diese Kenntnisse sich ganz von selbst bei mir einstellen werden, weil die Sache es so mit sich bringen wird. Ist denn dazu so viel Verstand nötig? Was für eine salomonische Weisheit ist denn schon dazu erforderlich? Wenn man nur Charakterfestigkeit besitzt: Verständnis, Gewandtheit und Wissen kommen dann ganz von allein. Man darf nur nicht aufhören zu wollen.
    Die Hauptsache ist, nichts zu riskieren; diesem Grundsatz kann man aber nur treu bleiben, wenn man charakterfest ist. Noch kürzlich, als ich schon in Petersburg war, kam mir eine Subskriptionsliste auf Eisenbahnaktien in die Hand; diejenigen Leute, die das Glück gehabt hatten, zu subskribieren, hatten viel Geld verdient. Eine Zeitlang waren die Aktien tüchtig gestiegen. Nun nehmen wir einmal an, es habe jemand bei der Subskription die Zeit verpaßt, möchte jetzt gern Aktien haben, sähe solche in meinen Händen und machte mir den Vorschlag, sie ihm mit soundso viel Prozent Gewinn zu verkaufen. Dann würde ich sie ihm unbedingt sofort verkaufen. Allerdings würden die Leute mich auslachen und sagen: »Wenn du noch ein Weilchen gewartet hättest, hättest du das Zehnfache daran verdienen können.« Ja, aber mein Gewinn verdient schon dadurch den Vorzug, daß ich ihn in der Tasche habe, während der eurige noch in der Luft umherfliegt. Jene werden einwenden, auf diese Art könne man nicht viel verdienen. Pardon, das ist gerade euer Fehler, der Fehler all dieser Kokorew, Poljakow, Gubonin. Hört die Wahrheit: Energie und Ausdauer im Erwerben, besonders im Sparen, richten mehr aus als momentane Gewinne, selbst wenn diese sich auf mehrere hundert Prozent belaufen.
    Nicht lange vor der Französischen Revolution erschien in Paris ein gewisser Law und stellte ein im Prinzip geniales Projekt auf (das aber nachher bei der Verwirklichung vollständig scheiterte). Ganz Paris war in Aufregung; Laws Aktien wurden reißend gekauft, der Andrang war gewaltig. In das Haus, in dem die Subskription eröffnet war, strömte wie aus einem Sack das Geld aus ganz Paris zusammen; aber auch das Haus reichte schließlich nicht aus: das Publikumstand in dichtem Haufen auf der Straße, Angehörige aller Berufsarten, aller Stände, aller Lebensalter, Bourgeois, Adlige, deren Kinder, Gräfinnen, Marquisen, Prostituierte, alles keilte sich zu einer wütenden, halbverrückten Masse zusammen, als wären sie von einem tollen Hunde gebissen. Rang und Stand, Vorurteile der Geburt und des Stolzes, sogar Ehre und guter Name, alles wurde in den Schmutz getreten; alles wurde geopfert (sogar von den Frauen), um nur ein paar Aktien zu bekommen. Die Subskription wurde schließlich auf die Straße verlegt, aber dort fehlte es an einem Tisch, auf dem man hätte schreiben können. Da machte man einem Buckligen den Vorschlag, seinen Buckel für eine Weile als Tisch zur Verfügung zu stellen,

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