Der Jüngling
Gemüts, ein klarer Blick für mein Ziel.
Trotz der horrenden Preise in Petersburg hatte ich mir ein für allemal vorgenommen, nicht mehr als fünfzehn Kopeken für Essen auszugeben, und ich wußte, daß ich Wort halten würde. Diese Frage wegen des Essens hatte ich lange und eingehend überlegt; ich hatte zum Beispiel beschlossen, manchmal zwei Tage hintereinander nur Brot und Salz zu essen, aber in der Absicht, am dritten Tag die an den beiden vorhergehenden Tagen gemachten Ersparnisse mit auszugeben; es schien mir, daß das für die Gesundheit vorteilhafter sein würde als die stete, gleichmäßige Fastenkost für den festen Satz von fünfzehn Kopeken. Ferner brauchte ich, um zu existieren, ein Winkelchen, buchstäblich nur ein Winkelchen, einzig und allein um da die Nacht zu schlafen oder an einem gar zu garstigen Tag unterzukriechen. In der Hauptsache beabsichtigte ich auf der Straße zu leben und war im Falle der Not auch willens, in einem Nachtasyl zu nächtigen, wo man außer dem Nachtlager auch noch ein Stück Brot und ein Glas Tee bekommt. Oh, ich würde es schon verstehen, mein Geld zu verstecken, damit es mir in meinem Winkelchen oder im Asyl niemand wegstahl oder es auch nur bemerkte; das glaubte ich garantieren zu können!
»Mir sollte etwas gestohlen werden? Eher ist zu befürchten, daß ich selbst einem etwas stehle!« hörte ich einmal auf der Straße einen durchtriebenen Patron höchst vergnügt sagen. Natürlich stelle ich mich ihm nur hinsichtlich der Vorsicht und Schlauheit gleich, Stehlen liegt nicht in meiner Absicht. Ja noch mehr: schon in Moskau und vielleicht gleich am Entstehungstag meiner »Idee« hatte ichbeschlossen, weder Pfandleiher noch Wucherer zu werden: dazu sind die Juden da und diejenigen Russen, die weder Verstand noch Charakter besitzen. Pfandleihe und Wucher – das ist etwas Ordinäres.
Was die Kleidung anlangt, so beabsichtigte ich, zwei Anzüge zu besitzen, einen Alltagsanzug und einen guten. Nachdem ich sie mir einmal angeschafft hatte, war ich überzeugt, daß ich sie lange tragen würde; ich hatte mich zwei und ein halbes Jahr lang absichtlich darin geübt, die Kleider schonend zu tragen, und sogar ein Geheimnis entdeckt: damit ein Kleidungsstück immer neu bleibt und sich nicht abträgt, muß man es möglichst oft mit der Bürste reinigen, fünf- oder sechsmal täglich. Die Bürste schadet dem Tuch nicht (ich spreche als Sachverständiger), wohl aber Staub und Schmutz. Der Staub ist eine Art von Steinen, wenn man ihn unter dem Mikroskop ansieht, die Bürste aber, mag sie auch noch so hart sein, hat immer eine gewisse Ähnlichkeit mit Wolle. In gleicher Weise habe ich die Stiefel tragen gelernt: das Geheimnis besteht darin, daß man den Fuß vorsichtig mit der ganzen Sohle zugleich aufsetzen und ihn möglichst selten seitwärts drehen muß. Lernen kann man dies in vierzehn Tagen, nachher macht man es ganz unbewußt. Durch dieses Mittel halten die Stiefel durchschnittlich um ein Drittel länger. Das habe ich in zwei Jahren erprobt.
Darauf begann dann meine eigentliche Tätigkeit.
Ich ging von folgender Überlegung aus: ich besitze hundert Rubel. In Petersburg gibt es so viele Auktionen, Ausverkäufe, kleine Trödelläden und so viele Menschen, die etwas gebrauchen, daß man mit Sicherheit darauf rechnen kann, wenn man etwas gekauft hat, es für einen höheren Preis wieder zu verkaufen. An dem Album habe ich sieben Rubel und fünfundneunzig Kopeken bei einem Anlagekapital von zwei Rubeln und fünf Kopeken verdient. Diesen gewaltigen Gewinn habe ich ohne Risiko gemacht: ich habe es dem Käufer an den Augen angesehen, daß er nicht zurücktreten würde. Natürlich begreife ich sehr wohl, daß das nur ein Zufall war; aber solche Zufälle will ich ja eben aufsuchen; gerade deswegen habe ich beschlossen, auf der Straße zu leben. Nun, mögen solche Zufälle auchsehr selten vorkommen, ganz gleich, meine Hauptmaxime wird sein, nichts zu riskieren, und meine zweite, unbedingt täglich etwas mehr als den für meinen Unterhalt ausgeworfenen Satz zu verdienen, damit die Vermehrung des Kapitals auch nicht für einen Tag eine Unterbrechung erleidet.
Man wird mir sagen: »Das sind alles nur Phantasien; Sie kennen die Straße nicht und werden beim ersten Schritt übers Ohr gehauen werden.« Aber ich besitze Willenskraft und Charakterfestigkeit, und die Straßenwissenschaft ist eine Wissenschaft wie jede andere; ein energischer, eifriger, befähigter Mensch kann sie bewältigen. Auf
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