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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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ich auf diese Weise ein ganzes Jahr in vollständiger Gesundheit und Zufriedenheit verlebte, seelisch aber in einer Art von Rausch und in einem ununterbrochenen heimlichen Entzücken. Ich grämte mich nicht um die Speisen, die ich mir entgehen ließ, sondern ich war voller Begeisterung. Nach Ablauf des Jahres hatte ich die Überzeugung gewonnen, daß ich imstande war, jedes beliebige Fasten zu ertragen, und fing nun wieder an, ebenso zu essen wie die andern und an dem gemeinsamen Mittagstisch teilzunehmen. Mit dieser Probe noch nicht zufrieden, stellte ich noch eine zweite an: außer dem Pensionspreis, der an Nikolai Semjonowitsch bezahlt wurde, stand für meine kleinen Ausgaben ein Taschengeld von monatlich fünf Rubeln zur Verfügung. Ich nahm mir vor, davon nur die Hälfte zu verbrauchen. Das war eine sehr schwere Prüfung, aber nach etwas über zwei Jahren hatte ich bei der Ankunft in Petersburg außer dem übrigen Geld siebzig Rubel in der Tasche, die ich mir nur durch dieses System erspart hatte. Das Resultat dieser beiden Versuche, war für mich höchst bedeutungsvoll: ich hatte positiv erkannt, daß ich genug Willenskraft besaß, um mein Ziel zu erreichen; darauf aber, ich wiederhole es, beruht meine ganze »Idee«; alles übrige sind Kleinigkeiten.

II
     
    Werfen wir jedoch einen Blick auch auf die Kleinigkeiten.
    Ich habe meine beiden Versuche beschrieben; in Petersburg machte ich, wie bereits bekannt, einen dritten: ich ging zu einer Auktion und profitierte auf einen Schlag sieben Rubel und fünfundneunzig Kopeken. Allerdings war das kein richtiger Versuch, sondern nur eine Art Spiel, ein Amüsement: es wandelte mich die Lust an, einen Augenblick aus der Zukunft zu stehlen und zu probieren,wie ich mich da verhalten und handeln würde. Überhaupt hatte ich die wirkliche Inangriffnahme meines Werkes gleich von vornherein in Moskau auf die Zeit verschoben, wo ich vollständig frei sein würde; ich wußte nur zu gut, daß ich zum Beispiel zuerst mit dem Gymnasium fertig sein müßte. (Auf das Universitätsstudium hatte ich, wie schon bekannt, meiner Idee zuliebe verzichtet.) Unstreitig war ich nach Petersburg mit einem geheimen Ingrimm gefahren: eben hatte ich das Gymnasium absolviert und war zum erstenmal frei, da mußte ich auf einmal sehen, daß Wersilows Angelegenheiten mich aufs neue für eine Weile von dem Beginn meiner Tätigkeit abhielten! Aber trotz meines Ingrimms fühlte ich mich doch während der Reise hinsichtlich der Erreichung meines Zieles ganz beruhigt.
    Es ist ja wahr, daß ich das praktische Leben noch nicht kannte; aber ich hatte drei Jahre lang unaufhörlich alles überdacht und konnte an dem Gelingen nicht zweifeln. Tausendmal hatte ich es mir ausgemalt, wie ich zu Werk gehen wollte: ich würde auf einmal wie vom Himmel herabgefallen in einer unserer beiden Hauptstädte erscheinen (ich hatte mir für den Anfang unsere Hauptstädte erwählt und speziell Petersburg, dem ich auf Grund einer gewissen Berechnung den Vorzug gab); also ich würde wie vom Himmel herabgefallen, aber vollständig frei, von niemand abhängig und gesund sein und heimlich hundert Rubel als erstes Betriebskapital in der Tasche haben. Ohne die hundert Rubel die Sache anzufangen, das schien mir nicht möglich, da sonst die allererste Periode des Erfolgs sich gar zu lange ausdehnen würde. Außer den hundert Rubeln besaß ich, wie schon bekannt, Mannhaftigkeit, Energie, Ausdauer, völlige Zurückgezogenheit in mich selbst und Verschwiegenheit. Die Zurückgezogenheit war die Hauptsache: ich konnte bis zum letzten Augenblick Beziehungen zu andern Menschen und Verbindungen mit ihnen absolut nicht leiden; allgemein gesagt, ich war fest entschlossen, die Ausführung meiner »Idee« allein zu beginnen; das war für mich eine Conditio sine qua non. Die Menschen waren mir störend; ich hätte mich unruhig gefühlt, und die Unruhe hätte den Erfolg meines Strebens beeinträchtigt. Überhaupt ist es mirbisher in meinem ganzen Leben immer folgendermaßen ergangen: wenn ich es mir im Kopf zurechtlegte, wie ich mit den Leuten umgehen würde, dann erschien mir das immer sehr klug; sowie es aber wirklich dazu kam, machte ich immer arge Dummheiten. Mit Entrüstung über mich selbst gestehe ich ganz aufrichtig, daß ich in meinen Reden immer zu heftig gewesen bin und mich selbst verraten habe, und darum habe ich beschlossen, den Verkehr mit den Menschen möglichst einzuschränken. Was ich dabei gewinne, ist: Unabhängigkeit, Ruhe des

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